München

Schonungslose Körper-Arbeit

Große Bühne für eine Schamanin der Kunst: Kiki Smith stellt im Haus der Kunst in München aus

16.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:41 Uhr

Von außerordentlicher Feinheit sind die Tapisserien, hier "Sky", für die sich Kiki Smith vom Wandteppich von Angers inspirieren ließ.

München (DK) "Schweiß", "Tränen", "Blut", "Erbrochenes" oder "Urin" steht da geschrieben auf den glänzenden Gefäßen, diese fein säuberlich nebeneinander aufgereiht. Keine der Flüssigkeiten ist wirklich in den bauchigen Flaschen, doch die Imagination, die Vorstellungskraft reichen aus.

Ein paar Meter weiter liegen schwarze Vögel, tote Krähen auf dem Boden verteilt, an den Wänden hängen prächtige und feinste Tapisserien. Mit Sternen und Vögeln, schwebenden Figuren. Ausgestellt sind Organe und mysteriöse Mischwesen, fragmentierte Körperteile oder eine gehäutete Jungfrau Maria. Werke aus Wachs, Bronze, Aluminium, Gips, Latex oder Glas. Radikal dreht Kiki Smith Inneres nach Außen, ohne Scheu vor Tabus und Grenzen der Scham. Rätselhaft, manchmal spröde, stets symbolisch aufgeladen und vieldeutig kommen die Werke der US-amerikanischen Künstlerin daher, der das Haus der Kunst in München ihre erste Retrospektive in Deutschland widmet.

Kiki Smith wurde 1954 in Nürnberg geboren, weil ihre Mutter, Jane Smith, eine Opernsängerin und Schauspielerin, gerade in Süddeutschland engagiert war. Ihr Vater war Tony Smith, Künstler, Architekt und einer der wichtigen Vertreter des Abstrakten Expressionismus. Sie wuchs in New Jersey auf und schlug wie selbstverständlich eine Künstlerlaufbahn ein.

Es ist eine beeindruckende Schau, die alle Aspekte des Schaffens von Kiki Smith zeigt, deren Lebensthema der Körper, vornehmlich der weibliche Körper ist, den sie seziert wie in einem medizinischen Lehrbuch, mit dem sie experimentiert und den sie auch in einen biblischen oder mythologischen Kontext stellt. Ist sie eine feministische Künstlerin? "Ich versuche, als Bürgerin eine Feministin zu sein, nicht aber in meiner Kunst", sagt sie selbst. Denn Feminismus sei ohnehin nichts anderes als ein Menschenrechtsthema.

Smith stellt mit ihren teils schonungslosen Werken die Bedingungen menschlichen Daseins zur Diskussion: Alter, Tod und Sterben, Verwundung und Heilung, Ganzheit und Fragmentierung, Sexualität und Geschlecht, Identität und Erinnerung. Sie selbst sagt über ihre radikale Körper-Arbeit: "Der Körper ist unser gemeinsamer Nenner und die Bühne für unsere Lust und unser Leid. Ich will durch ihn ausdrücken, wer wir sind, wie wir leben und sterben."

Die Künstlerin, die ein wenig wie eine Schamanin daherkommt, verarbeitet stets auch politische und soziale, philosophische und spirituelle Aspekte, ihre Kunst ist vielfach ein Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen: die Entdeckung des HI-Virus, die Diskussion um Abtreibung, Umweltzerstörung, die bedrohte Schöpfung.

Von ihrer Hinwendung zu Tieren und Pflanzen, zu Natur und Kosmologie erzählen etwa die Adler aus Glas, die im Treppenhaus im Haus der Kunst schweben - und die sie in der Mayer'schen Hofkunstanstalt in München gefertigt hat, wo sie seit Jahrzehnten regelmäßig arbeitet. Oder aber die Serie von zwölf Tapisserien. Inspiriert vom Wandteppich "Zyklus zur Apokalypse" von Angers, entwirft Smith eine eigene Schöpfungsgeschichte. Wolf, Schlange, Raben, Eva, Adam, Kaninchen, Berge, Meer und Gestirn sind zu einem harmonischen Kosmos verwoben. Zeit nehmen sollte man sich am Ende der Ausstellung für das Filmporträt, das eine gelassene und engagierte, eine unmittelbare und charismatische Künstlerin zeigt.

Bis 3. Juni im Haus der Kunst, täglich von 10 bis 20, Do bis 22 Uhr.

URL: https://www.donaukurier.de/archiv/schonungslose-koerper-arbeit-3202812
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