Mobilität
Mit Standortvorteil in die Zukunftstechnologie

12.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr
Raimund Reibenspieß lädt seinen Audi an der Ladestation an der Donaustraße in Ingolstadt. −Foto: Rehberger

Deutschland hinkt beim Ausbau der Elektromobilität den selbst gesteckten Zielen weit hinterher. Auch in Ingolstadt und in den umliegenden Landkreisen sind bislang kaum reine Elektroautos auf den Straßen unterwegs. Dabei stellt die Technologie gerade für die Region nicht nur Risiken für Arbeitsplätze dar, sondern bietet auch sehr gute
Entwicklungschancen.

Für Kurt Sigl ist die Sache klar: Wenn sich nicht schnell etwas ändert, schaut es schlecht aus für das Autoland Deutschland. Denn dass der klassische Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell sei, wollten die Autobauer hierzulande noch immer nicht einsehen. Auch seiner Heimatstadt Ingolstadt stellt er ein vernichtendes Zeugnis aus: Beim öffentlichen Nahverkehr hinke die Stadt hinterher, die Taktung der Busse sei schlecht und ernsthafte Versuche, die Busflotte auf Elektroantrieb umzustellen, gebe es nicht. „Dabei sind die Diesel-Busse mit das größte Problem“, kritisiert Sigl. Auch am Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos gebe es so gut wie kein Interesse. Seine düstere Prognose lautet daher: Alle Arbeitsplätze in der Autoindustrie seien in Gefahr.

Nun ist Sigl bei diesem Thema gewissermaßen Berufspessimist. Denn als Vorsitzender des Bundesverbands E-Mobilität ist er Deutschlands oberster Lobbyist für Elektroantriebe. Dass aber dringender Handlungsbedarf bestehe, das sehen auch andere Experten aus der Region so. Die Ingolstädter Arbeitsagentur rechnet in der Motorenfertigung durch die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren „mit einer deutlichen Einsparung an Arbeitskräften“. Und der Leiter des Bachelor-Studiengangs E-Mobilität an der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI), Hans-Georg Schweiger, sagt, es Risiken, für die Arbeitsplätze, denn „jede technische Neuerung bringt Umwälzungen mit sich“. Nachholbedarf habe Europa vor allem bei Batteriezellen, weil hier künftig Engpässe entstehen könnten.
 

Fachkräfte bleiben in der Region

Anders als Sigl glaubt Schweiger aber, dass bei den Autobauern ein Umdenkprozess stattgefunden habe und sie das Thema Elektro für sich entdeckt hätten. Das zeige schon der Bedarf an Weiterbildungs- und Umqualifizierungsmaßnahmen, die die THI in Zusammenarbeit mit Firmen durchführe. Seit vier Semestern biete die Hochschule etwa für Audi-Mitarbeiter ein Fortbildungsprogramm an, das sehr gut angenommen werde. Zugleich seien die Bachelor- und Master-Studiengänge, die sich mit Elektrotechnik und Elektromobilität befassen meist gut nachgefragt. Durch das „deutschlandweit einzigartige“ Angebot der THI im Bereich E-Mobilität sieht Ingolstadt im Kampf um Fachkräfte sehr gut aufgestellt. „Unsere Absolventen sind stark umworben“, sagt der Forschungsprofessor für Batteriesysteme. Die meisten seien aber in der Region verwurzelt und blieben wegen der guten Jobaussichten auch gerne hier. Auch der Geschäftsführer des Ingolstädter Gründerzentrums, Franz Glatz, ist sicher, dass die THI ein wichtiger Baustein ist, um die Region in Sachen Mobilität zukunftsfest aufzustellen (siehe Interview rechts).
Auch Sigl vom E-Mobilitätsverband lobt, an der THI passiere sehr viel und die Studenten würden für das Thema sensibilisiert. In der Politik, bei den Autobauern und in der Gesellschaft hätten Elektroantriebe aber immer noch einen schweren Stand. Innovative Startups und neue Ideen, „das sieht in Deutschland keiner“, sagt er. Förderungen und der Einsatz von Risikokapital müssten viel größer werden. Auch dass in Deutschland vor allem die vermeintlich mangelnde Reichweite von E-Antrieben die Debatte dominiert, ist ihm ein Dorn im Auge: Mit einem Tesla nach Spanien in den Urlaub zu fahren, sei aufgrund des gut ausgebauten Schnellladesystems „null Problem“. Und auch THI-Professor Schweiger betont, eine hohe Reichweite sei „kein Hexenwerk“. Es müsse eben eine entsprechend große Batterie eingebaut werden.
Aber für Sigl sind gar nicht die langen Urlaubsfahrten entscheidend: „Es geht um elf Millionen Zweit- und Drittfahrzeuge in Deutschland!“ Die würden im Schnitt nur 27,5 Kilometer am Tag für den Arbeitsweg bewegt. Diese Reichweite sei gar kein Problem und zum Aufladen würde es genügen, das Auto über Nacht an die normale Haushaltssteckdose anzuschließen – wie beim Handy auch.
Bleibt noch das Problem der „Laternenparker“, wie Schweiger es nennt. Wer nachts nicht in der eigenen Garage parkt, ist auf öffentliche Ladesäulen angewiesen. Beim Ausbau aber bremsen sich Autobauer und lokale Stromversorger nach dem Henne-Ei-Prinzip gegenseitig aus. Die Stromversorger verwiesen auf den mangelnden Bedarf aufgrund der wenigen E-Autos und die Autohersteller auf den Mangel an Ladesäulen, erklärt Schweiger. Das werde der Markt aber bald alleine regeln, denn „die Nachfrage steigt“.
 

Weniger als ein Prozent E-Autos

Bisher betreiben die Stadtwerke Ingolstadt nach eigenen Angaben 17 öffentliche Ladesäulen mit insgesamt 34 Ladepunkten im Stadtgebiet, 28 weitere sollen dieses Jahr folgen. Allerdings werden an nur zwei Standorten Schnellladesäulen mit einer Leistung von mindestens 40 Kilowatt angeboten. Den öffentlichen Bedarf sieht die Stadt damit schon bald gedeckt und will stattdessen künftig vor allem in Firmen und Privathaushalten zusätzliche Ladepunkte einrichten, „da rund 80 Prozent der Ladevorgänge zu Hause oder am Arbeitsplatz erfolgen“, wie die ein Sprecher auf Anfrage sagt. Reine Elektroautos gibt es in Ingolstadt kaum. Unter den fast 98 000 zugelassenen Pkw sind nur 228 E-Autos.

Ähnlich sieht es auch in umliegenden Landkreisen aus. In Eichstätt haben 162 von 128 615 Fahrzeugen einen Elektromotor, in Roth 128 von 126 334, in Kelheim 96 von 76 742, in Pfaffenhofen 118 von 80 810 und in Neuburg 68 von 63 492. Entsprechend ist auch die Zahl der kommunalen Ladepunkte noch überschaubar. In Neuburg beispielsweise sind es zwei Säulen. Die Stadt will hier künftig auch mit Supermärkten zusammenarbeiten, damit Kunden während des Einkaufens laden können, wie Markus Knoll von den Stadtwerken erklärt. In Eichstätt gibt es immerhin fünf öffentliche Ladestationen. Schnellladesäulen sind dort aber – anders als in Pfaffenhofen, wo es derzeit zwei Säulen gibt – nicht geplant.

Alleine durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur ist ein Umdenken in der Bevölkerung aber nicht zu erreichen, glaubt Sigl. Das gehe nur über persönliche Erfahrung – die Autobauer müssten den Kunden Events und Fahrerlebnisse bieten. Zudem müssten sich die deutschen Anbieter beeilen, sonst hätten sie schon bald das Nachsehen gegenüber chinesischen Anbietern, die ab 2020 auf den europäischen Markt wollten. „Dann wird es richtig spannen“, prophezeit er. Schweiger glaubt dagegen nicht, dass chinesische Autos hierzulande Anklang finden: „Das sind reine Transportvehikel“, sagt er. Ein deutscher Fahrer erwarte mehr von einem Auto.