Gesundheit
„Wir halten keinen globalen Fortschritt auf“

12.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr
Christian Pacher, Bezirkschef im Bayerischen Apothekerverband, verteidigt das umstrittene geplante Verbot für den Versand verschreibungspflichtiger Medikamente. −Foto: Wenisch

Den Apothekern wird im Koalitionsvertrag ihr größter Wunsch erfüllt und sie fühlen sich für das digitale Zeitalter gut gerüstet – und dennoch herrscht in der Branche Skepsis. Der Ingolstädter Christian Pacher vom Apothekerverband blickt im Interview in die Zukunft.

Herr Pacher, die Landesregierung fordert alle Unternehmen auf, eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln. Wie weit sind Sie in Ihrer Apotheke?
Christian Pacher: Wir sind hoch digitalisiert. Wir haben digitale Computerkassen und unser Warenlager hat eine digitale Bestandsführung. Ich kann auf Knopfdruck sagen, wie viele Packungen von jedem Medikament da sind. Der nächste Schritt ist das komplett automatische Warenlager, das derzeit im Apothekenwesen einzieht. Dann ist von der Wareneinlagerung bis zur Abgabe an den Patienten alles digital.

Wie stehen die anderen Apotheken in der Region da?
Pacher: Die Apotheken sind im Gesundheitssystem, was die Digitalisierung angeht, die führende Branche. Jedes Medikament hat eine eigene sogenannte Pharmazentralnummer, die erfasst und bei der Abgabe dem Rezept zugeordnet werden muss. Wir sind dadurch die einzige Branche, die komplett transparent ist. Alles ist erfassbar und belegbar.

Nun ist Digitalisierung aber weit mehr als die Vernetzung innerhalb der Apotheke. Für den Kunden ist viel wichtiger, dass für ihn das Einkaufen einfacher wird.
Pacher: Wir bieten schon jetzt die ganze Palette an: Sie können zur Tür reinkommen und das Medikament bekommen. Sie können anrufen, ein Fax, eine E-Mail oder eine SMS schicken. Einige Apotheken nutzen auch noch Whatsapp, was nach der neuen EU-Datenschutzrichtlinie, die ab Mai gilt, aber problematisch ist, weil die Server in Amerika stehen. Bei uns können Sie ihre Wünsche auch über unsere Bestell-App senden. Diese Form der Kommunikation mit den Patienten nimmt rasant zu.

Geht das auch mit rezeptpflichtigen Medikamenten?
Pacher: Über die App kann der Kunde ein Foto des Rezepts schicken, wir können mit ihm kommunizieren und ihm mitteilen, ab wann er das Medikament abholen kann. Im Raum Ingolstadt bieten wir auch einen kostenlosen Lieferservice an.

Die großen Lieferservices der Branche stammen aber nicht von deutschen Apotheken, sondern von ausländischen Versandapotheken. Laut Koalitionsvertrag soll der Versand rezeptpflichtiger Medikamente aber verboten werden. Können Sie Ihr Glück über den Vertrag schon fassen?
Pacher: Ich bin positiv überrascht, dass die Einsicht bei der Politik eingetreten ist. Ein Koalitionsvertrag bedeutet aber noch nicht, dass alles umgesetzt wird.

Ist das eine Abkehr von der digitalen Zukunft?
Pacher: Ich weiß, dass wir da in der Kritik stehen. Aber Fakt ist, dass in 21 von 28 EU-Ländern der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel verboten ist. Und selbst die USA verbieten den länderübergreifenden Arzneimittelversand. Wir würden mit dem Verbot also keinen weltweiten Fortschritt aufhalten. Und verschreibungsfreie Mittel von der Kosmetik bis zum Nasenspray blieben davon ohnehin unberührt.

Aus dem Lager der Kritiker heißt es, das wäre, als würde man den stationären Buchhandel schützen, indem man Amazon verbietet, Bücher zu verschicken. Warum wollen die Apotheker eine Extrawurst?
Pacher: Der Versandhandel wurde 2004 unter Rot-Grün eingeführt. Im Oktober 2016 gab es dann ein überraschendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass für ausländische Versender nicht die deutsche Arzneimittelpreisverordnung gilt. Dieser Punkt ist für unsere Branche existenzgefährdend. Davor wurden die Arzneimittel aus den Niederlanden zu den gleichen Bedingungen abgegeben, wie wir sie einhalten müssen. Das war normaler Wettbewerb.

Aber der Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten macht nur ein Prozent des Handels aus. Wie kann das die Existenz gefährden?
Pacher: So war der Stand im Oktober 2016. Jetzt merken wir, dass es deutlich zunimmt. Wir stellen uns nicht gegen Wettbewerb. Aber wenn die Preisgleichheit nicht mehr geboten ist, herrschen unfaire Bedingungen. Die stationären Apotheken haben jede Menge Pflichten. Wir müssen alle Rezepturen innerhalb von 24 Stunden anfertigen, Nacht- und Notdienst leisten, uns um die aufwendige Betäubungsmittelversorgung kümmern oder ein eigenes Labor betreiben. Das bedeutet alles hohen Aufwand und Kosten. Diese Auflagen hat der Versender nicht und jetzt bekommt er noch einen Preisvorteil, den wir nicht gewähren dürfen.

Warum kämpfen Sie dann nicht für die Freigabe der Preise?
Pacher: Wir bekommen pro verschreibungspflichtigem Medikament ein Honorar von 6,58 Euro von den gesetzlichen Krankenkassen. Ein freier Preiswettbewerb, bei dem dieses schon schmale Honorar noch sinken würde, überleben mindestens 5000 Apotheken in Deutschland nicht. Das gefährdet die flächendeckende Versorgung. Und das Verbot des Versands verschreibungspflichtiger Arzneien ist derzeit die einzige rechtssichere Methode, um die Preisgleichheit wieder herzustellen.

Ob das Vorhaben EU-rechtskonform umgesetzt werden kann, daran gibt es aber erhebliche Zweifel, auch in der SPD.
Pacher: Das sind Zweifel, die von interessierter Seite – von den Versandapotheken – gestreut werden. 2004 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass jedes Land selbst entscheiden darf und dass man den Versand mit verschreibungspflichtigen Mitteln durchaus verbieten darf. Und in 21 von 28 Ländern ist es ja auch so. Wie gesagt: Wir scheuen den Wettbewerb nicht. Aber die Gesellschaft müsste sich dann dafür entscheiden, dass die Apotheken ihre Leistungen einschränken. Es muss klar sein, was die Apotheken bieten sollen. Und allen, die das Hohelied der Marktliberalisierung singen, möchte ich sagen: Der Kunde hat ein oder zwei Jahre lang einen Vorteil, dann drängt der Markt aber zu Monopolen. Das jüngste Beispiel in Deutschland sind die Busse. Bei der Freigabe des Marktes gab es sehr viele Unternehmen und jetzt ist nur noch ein einziges übrig und die Preise steigen. In der Pharmaziebranche gibt es in Norwegen ein ähnliches Beispiel.

Apotheker klagen immer mehr über Nachwuchsprobleme. Was muss die Branche tun, um wieder mehr junge Fachkräfte zu gewinnen?
Pacher: Pharmazie ist wie Medizin ein Fach mit hohen Zulassungshürden. Diese müssen erleichtert werden. In der Medizin hat man inzwischen festgestellt: Man braucht nicht nur Chefärzte und Ärzte in der Stadt, sondern auch Landärzte. Und um die in entsprechenden Mengen zu bekommen, werden Förderungen für diejenigen diskutiert, die aufs Land gehen. Das muss man bei uns auch diskutieren, ohne dass der Studienabschluss verändert wird. Sonst gibt es Apotheker der ersten und zweiten Klasse.

In der Medizin soll es bald Studienplatzquoten für Studenten geben, die sich verpflichten, eine Zeit auf dem Land zu arbeiten. Ist das auch ein Ansatz für die Pharmazie?
Pacher: Der Fachkräftemangel trifft durch den demografischen Wandel nicht nur Apotheker. Aber bei uns beginnt die Diskussion jetzt erst richtig. Im Moment kämpfen wir noch darum, dass keine Studienplätze abgebaut werden. Dabei brauchen wir dringend mehr pharmazeutisches Personal, um die flächendeckende Versorgung zu erhalten.

Das Gespräch führte Daniel Wenisch

Zur Person

Christian Pacher betreibt die Süd-Apotheke in Ingolstadt. Zudem engagiert sich der 54-Jährige im Bayerischen Apothekerverband, wo er Vorsitzender des Bezirksverbands-Oberbayern-Nord ist, und ist als Sprecher der Ingolstädter Apotheker tätig.