"Ich will Klarheit haben – das ist das Gebot der Stunde"

25.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr
Volle Transparenz und schonungslose Aufklärung des Abgas-Skandals versprach Audi-Vorstandschef Rupert Stadler beim Besuch der Redaktion unserer Zeitung. −Foto: Hauser

Die Abgas-Affäre bei Volkswagen hat auch die Konzerntochter Audi voll erfasst. Das hat Vorstandschef Rupert Stadler schwer getroffen. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er, was das für Konsequenzen hat und wie er das Problem lösen will.

Herr Stadler, zunächst war die Rede von einer illegalen Software, dann waren es drei. Dann hat Audi zugegeben, ein Defeat Device – was mit Schummelsoftware übersetzt wird – in?stalliert zu haben. Vorher hieß es: Nein, es ist nur ein Dokumentationsfehler gewesen. Wie konnte es zu solchen Pannen kommen, und was ist es denn jetzt tatsächlich?

Rupert Stadler: Nachdem die Unregelmäßigkeiten beim Vierzylinder-Diesel in den USA bekannt wurden, haben wir im Konzern unverzüglich gehandelt. Und wir stellten von Anfang an die Frage: Gibt es da noch mehr, ist das das Einzige, wie setzt man sich mit der Situation strukturiert auseinander? Ich habe mit meinen Vorstandskollegen bei Audi zeitgleich die Untersuchungen gestartet, so wie es Volkswagen getan hat. Wir haben eine Task-Force eingerichtet mit dem Auftrag zu prüfen, wie wir mit der Sachlage umgehen würden. Wir haben dann Woche für Woche bei Audi in der Vorstandssitzung Bericht erstatten lassen, von unseren Technikern, Juristen und auch unseren Revisoren. Ich habe mehrfach nachgefragt: Ist unser Sechszylinder sauber? Haben wir ein Defeat Device? Und die mehrfache Aussage in der Vorstandssitzung war: Nein, haben wir nicht.


Sie hatten im Oktober die Aussage, dass der Motor sauber ist?

Stadler: Ja, wir hatten sehr früh die Aussage unserer Techniker, der V6-TDI-Motor sei nach derzeitigem Kenntnisstand gesetzeskonform. Das wurde uns in mehreren Vorstandssitzungen in Folge nachdrücklich versichert. Gleichzeitig haben wir uns auch bei Audi um die Vierzylinder-Modelle gekümmert, haben geprüft, wie es mit der CO2-Klassifizierung aussieht, da dieses Thema zwischenzeitlich noch dazugekommen war. Wir übernehmen die Vierzylinder-Motoren aus dem Konzern, prüfen aber regelmäßig über Stichproben selbst, ob die CO2-Emissionen unserer Modelle mit den offiziellen Angaben der Zulassung übereinstimmen. Dann wurden wir von der kalifornischen Behörde CARB über eine sogenannte Notice of Violation informiert, die Motoren-Software unseres V6-TDI enthalte ein Defeat Device. Da habe ich nochmals eine weitere gründliche Prüfung angeordnet. Wieder war die Aussage unserer Techniker, der V6 TDI sei nach derzeitigem Kenntnisstand in Ordnung. Erst vergangene Woche erklärte das Team in der Vorstandssitzung, wir hätten in einem Teil der Software zur Aufheizstrategie des SCR-Katalysators eine sogenannte Bedatung, die nach geltender US-Gesetzgebung kritisch sein könnte. Warum das so ist, ließ sich zunächst nicht nachvollziehen.


Waren das die gleichen Techniker, die zunächst gesagt hatten, es sei alles sauber?

Stadler: Ja.  Ich habe dann gefragt: Ist das ein Defeat Device? Und dann hieß es, wir müssen davon ausgehen, dass in den USA ein Teil der Software zur Steuerung der Aufheiz-Funktion mutmaßlich als Defeat Device gewertet werden könnte.

 

"Ich will die Wahrheit wissen"



Sie sagen aber, Audi habe nicht vorsätzlich betrogen?

Stadler: Dies ist Gegenstand der aktuellen Untersuchungen. Ich will die Wahrheit wissen, ohne Ansehen von Hierarchien oder Personen. Das ist ein hochkomplexes Unterfangen, denn man diskutiert bei einem Sechszylinder-Diesel in etwa 80 000 Software-Bedatungsfelder innerhalb der Software zur Steuerung von Motor und Abgasstrang.


Wie lange soll diese Prüfung noch dauern, bis sie diese Frage klipp und klar beantworten können?

Stadler: Ich lasse mich da nicht zeitlich festlegen, denn hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.


Käme etwas raus, was Sie sich nicht wünschen, dass nämlich tatsächlich Vorsatz vorlag, was für Konsequenzen müsste das haben?

Stadler: Ich möchte die Wahrheit wissen und sobald ich sie weiß, werden wir entscheiden.


Schließen Sie denn dabei auch für sich selber Konsequenzen aus?

Stadler: Jetzt geht es um die Wahrheit und ich werde nicht ruhen, bis alles auf dem Tisch ist. Ich habe das Thema direkt nach meiner USA-Reise im Aufsichtsrat vorgestellt und die Vorgehensweise abgestimmt. Über die aktuelle Entwicklung halte ich den Konzern und den Aufsichtsrat auf dem Laufenden.


Haben Sie noch Vertrauen in ihre Entwicklung nach solchen Diskussionen?

Stadler: Wir dürfen jetzt nicht damit beginnen, Generalverdächtigungen für eine so große und kompetente Mannschaft auszusprechen. Aber ich will in dieser spezifischen Angelegenheit jetzt Klarheit haben. Das ist das Gebot der Stunde und das verstehen auch alle Audi-Mitarbeiter.


Was bedeuten die von Ihnen angesprochenen personellen Konsequenzen ganz konkret?

Stadler: Wir haben am Mittwoch zwei Mitarbeiter der Technischen Entwicklung beurlaubt. Auch für diese Mitarbeiter gilt bis zum Abschluss unserer Untersuchungen die Unschuldsvermutung.


Man erzählt sich inzwischen, es habe am Montagabend in ihrem Gespräch mit dem Volkswagen-Konzernchef Matthias Müller ziemlich gerumpelt.

Stadler: Es gibt keinen Konflikt mit Matthias Müller. Da gab es ganz klare gemeinsame Positionen und wir arbeiten eng zusammen, insbesondere bei der Aufklärung.


Sie sind ja als erster CEO des Konzerns in die USA gereist. Sie haben dort an den Gesprächen mit den Behörden aber offenbar nicht teilgenommen. Wie werten Sie das Ergebnis dieses Amerika-Aufenthalts?

Stadler: Ich habe auch darüber mit Matthias Müller gesprochen. Wir sind zum Schluss gekommen, dass ich mit dem Team mitfliege. Für mich war es ein Signal und ein wichtiges persönliches Anliegen. Wir haben uns eineinhalb Tage in ein Hotel eingesperrt und sind die Themen bis in die Bits und Bytes durchgegangen. Ich habe gesagt: Maximale Transparenz und Aufklärung, alle fraglichen Themen werden adressiert. Mir wurde dann von Experten empfohlen, dass ich am Meeting der Techniker nicht teilnehme. Dem bin ich gefolgt. Ich habe parallel dazu lange mit den Umweltbehörden EPA und CARB gesprochen und das Team klar instruiert, dass alles auf den Tisch kommt, was wir wissen. Wir haben auch eine Einschätzung gegeben, wie eine technische Lösung aussehen könnte. Ich habe von beiden US-Behörden zurückgespielt bekommen, dass sie unsere Transparenz und unser rasches Handeln sehr schätzten.

 

Sie sind also zuversichtlich, dass sie das Thema noch in diesem Quartal vom Tisch bekommen?

Stadler: Nein, so rasch werden wir es nach meiner Einschätzung nicht vom Tisch bekommen. Das ist erst der Fall, wenn auch beim letzten Kunden die Umsetzung der technischen Maßnahmen erfolgt ist. Aber wir haben vereinbart, dass wir uns Mitte Dezember noch einmal treffen werden. Dann werden wir konkrete technische Lösungen diskutieren und den Behörden zur Freigabe vorschlagen. Sobald wir grünes Licht erhalten, gehen wir an die Umsetzung.

 

"Wir haben zwei Mitarbeiter beurlaubt"



Dann bleibt aber noch die Frage, war es eine Panne oder war es Absicht?

Stadler: Wie ich sagte, das ist Gegenstand der Untersuchungen. Vor deren Abschluss kann ich mich nicht dazu äußern. Und wie gesagt, wir haben die Entscheidung getroffen, dass zwei involvierte Personen erst einmal beurlaubt werden.



Was ist denn mit der Personalie Hackenberg? Der Chef der Technischen Entwicklung ist ja wohl noch beurlaubt, wie geht es da weiter?

Stadler: Das ist eine Angelegenheit, die der Aufsichtsrat zu beurteilen hat. Auch hier gilt die Unschuldsvermutung. Wir haben Horst Glaser beauftragt, die Technische Entwicklung kommissarisch zu führen. Und ich klinke mich da auch permanent ein, um sicherzustellen, dass wir keinen Entscheidungsstau haben.



Bisher war ja Audi in dem Abgas-Skandal mehr das Opfer, jetzt ist Audi auch der Täter. Spüren Sie da bei der Belegschaft eine Veränderung in der Stimmung?

Stadler: Ich kann verstehen, dass die Mannschaft enttäuscht ist. Ich glaube nicht, dass wir über Vertrauensschwund sprechen. Ich will der Mannschaft die Selbstsicherheit wieder zurückgeben, damit wir uns zu hundert Prozent auf unsere Aufgaben konzentrieren können.



Was wird die Sache denn konkret für die Beschäftigten an Folgen haben?

Stadler: Den finanziellen Aufwand aus dem Sechszylinder-Diesel in den USA haben wir auf einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag taxiert. Wir kümmern uns jetzt noch intensiver um Kostenstrukturen. Ich habe der Mannschaft gesagt, dass wir einen starken Beitrag innerhalb des Konzerns leisten wollen. Wir arbeiten also weiter an unserem Ergebnisziel.



Können Sie eine Summe nennen, mit welchem Betrag von dem Milliardenpaket nun Audi betroffen sein wird?

Stadler: Das kann ich nicht, aber ich denke, wir können damit umgehen.



Wer trägt denn die Kosten, wenn es jetzt zu Umrüstungen kommt?

Stadler: Da gibt es klare Absprachen und Regeln im Konzern. Die Entwicklungsverantwortung bestimmt, wer dafür aufkommen wird. Wir werden das für den V6 TDI tun.



Das wird also keine Auswirkungen auf das Investitionsverhalten von Audi haben?

Stadler: Bei den Investitionen gehen wird natürlich auch noch einmal in medias res. Aber eines ist klar: Bei dem Produktprogramm, das in den nächsten zwei bis drei Jahren kommt, werden wir keine Abstriche machen. Aber es gibt immer Potenziale. Wir hatten zum Beispiel geplant, in Neuburg einen Windkanal zu realisieren. Jetzt haben wir entschieden, dieses Projekt um ein Jahr aufzuschieben.

 

Sportsponsoring: "Wir stehen zu unseren Verträgen"



Wie sieht es mit dem Sponsoring aus? Sind größere Einschnitte in der Region, was etwa ERC und FC betrifft, absehbar?

Stadler: Auch da steht die Grundlast. Wir stehen zu unseren Verträgen.



Noch einmal zur Produktpalette. Wird es denn auch ohne Diesel-Motoren gehen?

Stadler: Der Diesel ist bis auf Weiteres die effizienteste Antriebstechnologie, die in unserer Industrie zur Verfügung steht. Wir gehen davon aus, die Vorgaben zu erfüllen, die wir auf europäischer Ebene im Sinne der CO2-Flottenziele auch zugesagt haben. Nicht umsonst gehen in einigen europäischen Märkten bis zu 80 Prozent der Kunden auf den Diesel. Dieselmotoren stehen nicht nur für niedrigen Verbrauch und niedrige CO2-Werte, sondern auch für große Reichweite.



Wie ist das denn mit dem Diesel in den USA jetzt nach den ganzen Skandalen?

Stadler: Wir  beobachten seit ungefähr seit zwei Jahren in den USA wieder eine rückläufige Nachfrage nach Dieselmotoren. Das hat mit der Antriebstechnologie nichts zu tun, sondern mit den historisch niedrigen Rohölpreisen. Der amerikanische Kunde ist sehr preissensibel. Der sagt: Was kostet mich die Gallone Benzin, und was kostet mich eine Gallone Diesel? Dieselkraftstoff ist in den USA ja per se teurer. Und wenn für den Amerikaner der Sprit so billig ist, dann kauft er eben lieber Benziner. Wenn der Ölpreis wieder anzieht und sich das Preisverhältnis zwischen beiden Treibstoffen angleicht, sieht die Sache anders aus.



Mit der Krise um die Diesel-Abgase ist aber das Thema E-Mobilität jetzt offenbar präsenter als früher.

Stadler: Wir haben in den letzten Jahren intensiv dafür geworben und investiert. Unser Audi A3 e-tron ist heute schon in Serie, der Q7 e-tron ist im nächsten Frühjahr verfügbar. Die Folgeprodukte, die in den nächsten eineinhalb Jahren kommen, werden einen Plug-in-Hybrid-Antriebstrang haben. Das haben wir aus der Überzeugung gemacht, dass wir diese Brückentechnologie hin zur Elektrifizierung brauchen – auch um die strenge CO2-Gesetzgebung zu erfüllen. Und 2018 kommt unser erstes vollelektrisches Auto mit mehr als 500 Kilometern Reichweite.