Würzburg
Das Ende des Euro?

Der Volkswirtschaftler Karl-Heinz Brodbeck analysiert die Krise und entwirft drei Szenarien für die Zukunft

29.06.2012 | Stand 03.12.2020, 1:20 Uhr

 

Würzburg (DK) Früh in die Rente, teure Sozialprogramme, hohe Staatsverschuldung: So lautet häufig eine Diagnose für die Krise Griechenlands. Gleichwohl ist dies nur ein Teil der Wahrheit. Die Griechen arbeiten genauso lang wie die Deutschen, und das Renteneintrittsalter unterscheidet sich auch nicht stark. Allerdings ist die Steuermoral bei den Griechen gering. Die wirkliche Ursache für die Euro-Krise liegt also woanders.

Sie beginnt im Jahr 2008, mit der Rettung der Banken. Die Euro-Länder haben durch ihre Garantien die Banken gestützt. Was vorher eine private Schuld war, ist nun öffentliche Schuld. Durch die Rettung wurde der Markt für Staatspapiere völlig destabilisiert. Und dabei traf es vor allem den Schwächsten: Griechenland. Denn dieser Staat hatte die höchste Verschuldung. Die damit verbundenen Finanzierungsprobleme führten in die Euro-Krise.

Soll Griechenland aus dem Euro ausscheiden? Was tun mit Spanien? Und: Bietet die Europäische Zentralbank (EZB) vielleicht eine Lösung? Volkswirtschaftler Karl-Heinz Brodbeck (kleines Foto) analysiert für unsere Zeitung die Lage und zeigt drei Szenarien auf, was aus Euro-Land werden könnte.

EZB übernimmt Politik der Fed

Dieses Szenario setzt voraus, dass sich die EZB vom Paulus zum Saulus wandelt und die amerikanische Notenbank (Fed) kopiert. Momentan ist es so: Die Fed pumpt seit 2001 ungeheure Mengen an Geld in das amerikanische Bankensystem, um das Bankensystem zu retten, den Dollar zur Exportförderung niedrig und vor allem die Wall Street bei Laune zu halten. Es hat zwar der amerikanischen Realwirtschaft keinen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht, aber nach der Lehmann-Pleite sind keine weiteren Großbanken mehr zusammengebrochen.

Die EZB hat eine solche Lösung bislang ausgeschlossen. Würde die EZB nun aber die Politik der Fed übernehmen, so wäre das europäische Bankensystem vorübergehend stabilisiert. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die EZB direkt Staatspapiere aufkauft oder dem ESM, dem Rettungsschirm, Geld zur Verfügung stellen würde. Die spekulativen Angriffe durch Hedgefonds auf den Euro würden zurückgehen; massive Käufe von griechischen, spanischen, italienischen und anderen Staatspapieren würden den Bondmarkt beruhigen.

Dies alles würde vor allem den Börsen vorübergehend Auftrieb geben. Der Euro bliebe als Binnenwährung intakt, auch wenn es zu Abwertungen kommen würde – was auch die Exporte aus Europa stabilisieren könnte. Einige Mitglieder in der EU-Kommission, Mario Monti und der neue französische Regierungschef François Hollande hegen derartige Wünsche. Auch US-Präsident Barack Obama fordert eine solche Lösung von den Europäern, und sei es nur um seine Wiederwahl zu sichern.

Doch langfristig stellt dies keine Lösung dar. Das undurchschaubare Bankensystem würde nur eine neue Stufe fragwürdiger Geschäftspraktiken erklimmen. Es handelt sich um einen weitgehend unregulierten Markt. Niemand kennt genau die Zahlungsströme oder die Verflechtungen des europäischen Bankensystems. Neue Krisen würden sich vorbereiten – ohne eine grundlegende Reform.

Fazit: Diese Lösung ist keine. Weiterhin dürfen große Banken nicht pleite gehen. Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass das weltweite, besonders auch das europäische Banksystem gespickt ist mit faulen Schuldtiteln. Mein Vorschlag als Begleitung zur EZB-Politik wäre: Große Banken zu verstaatlichen, Schulden abzuwerten, das Investmentbanking vom Einlagen- und Kreditgeschäft zu trennen und diese Trennung für eine Reprivatisierung gesetzlich zu verankern.

Wer begleitet Griechenland?

Der Startschuss dieses Szenarios fällt in Griechenland, das den Euro-Raum verlassen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass neben den Griechen ein oder zwei weitere Länder aus dem Euro aussteigen oder dazu gezwungen werden, scheint derzeit recht hoch zu sein. Die Folgen für diese Länder sind gravierend. Beispiel Griechenland: Derzeit gibt es Überlegungen, die Probleme durch die Abwertung einer neuen Drachme zu lösen. Es wird sogar schon darüber spekuliert, wie hoch die Abwertung sein müsste, damit Griechenland wieder wettbewerbsfähig sein könnte. Einige rechnen mit bis zu 70 Prozent.

Das würde bedeuten, dass die Preise für importierte Güter (zum Beispiel Öl) etwa 70 Prozent ansteigen würden. Viele könnten sich dann nicht einmal mehr elementare Dinge leisten. Zur ohnehin schon vorhandenen Depression käme noch eine importierte Inflation hinzu. Die sozialen Unruhen, die immer wieder aufflackerten, würden massiv zunehmen.

Dann könnte etwas passieren, das die Griechen bereits von 1967 bis 1974 erlebt hatten: Das Militär wird eingreifen. Eine gewaltsame Antwort auf soziale Unruhen könnte ganz Europa fundamental erschüttern und hätte unmittelbare Auswirkungen auf andere Länder – beispielsweise Spanien, Portugal und sogar Italien, deren Bankensystem gleichfalls marode ist. Am Ende wäre nicht nur der gesamte Binnenmarkt in Europa, sondern auch die europäische Demokratie bedroht. Deutschland hängt ganz wesentlich vom Euro-Binnenmarkt ab. Eine solche Krise würde deshalb auch Deutschland massiv treffen.

Fazit: Die politischen Verwerfungen sind viel schwerwiegender als die unmittelbar ökonomischen. Dieser Punkt wird viel zu wenig gesehen. Persönlich rechne ich nicht unmittelbar mit diesem Szenario, aber wir sollten solche Dinge im Auge behalten.

Parallelwährung für Griechenland

Griechenland muss aus dem Euro aussteigen. Um aber heftige soziale Unruhen zu vermeiden, wird ein Mittelweg gefunden: Nach einem deutlichen Schuldenschnitt werden vor allem im Auslandsverkehr weiterhin Euros zugelassen. Man führt aber eine Parallelwährung ein, beispielsweise eine neue Drachme. Die schwächere Währung (Drachme) würde die stärkere Währung (Euro) auf dem griechischen Binnenmarkt verdrängen und so einen etwas glatteren Übergang ermöglichen. Von der Depression in Griechenland wäre in Deutschland weniger zu spüren.

Vieles hinge auch davon ab, ob Griechenland weiterhin massiv deutsche Rüstungsgüter kauft, denn die Griechen sind ein Hauptabnehmer deutscher Waffen. Wenigstens von diesem Sektor wären negative Effekte auf den deutschen Arbeitsmarkt zu spüren. Auch bei diesem Szenario bliebe ein Ansteckungseffekt im realen Sektor also nicht aus.

Vermutlich haben die europäischen Banken die Pleite der Griechen schon längst einkalkuliert. Trifft das zu, so wären die Folgen für den Finanzmarkt überschaubar. Eine Beurteilung dieser Frage hängt ab von der immer noch undurchsichtigen Verflechtung des Bankensystems, sodass auch hier eine Ansteckung nicht auszuschließen ist.

Fazit: Dies ist ein mögliches Szenario. Parallelwährungen waren historisch allerdings nie besonders lange stabil und stellen deshalb auch keine wirkliche Lösung dar.

Momentan kann niemand die Entwicklung wirklich seriös prognostizieren. Die undurchsichtige Verschuldungsstruktur der globalen Finanzmärkte birgt noch erschreckend viele Risiken. In der derzeitigen politischen Konstellation ist es allerdings sehr wahrscheinlich, dass Griechenland aus der Euro-Zone ausschert. Der Druck ist zu stark. Auch für Spanien ist ein Austrittsszenario nicht völlig unwahrscheinlich. Anders als Griechenland wäre ein Zusammenbruch des spanischen Bankensystems allerdings so etwas wie eine Sollbruchstelle für das gesamte Euro-System.

Eine grundlegende und rasch erfolgende Bankenreform, eine europaweite Versicherung vor allem der Kleinanleger bleibt deshalb ein unabdingbarer erster Schritt. Die spekulativen Angriffe auf den Euro von außen werden dadurch noch nicht aufgehalten. Die Londoner City ist ein wesentliches Zentrum dieser globalen Krankheit. England einzubinden in eine grundlegende Reform in Europa, wäre damit unabdingbar.