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Der "Herr der Ringe" in Bedrängnis

17.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:28 Uhr

Seit zehn Jahren leitet Rupert Stadler die Geschicke des Ingolstädter Autobauers Audi - zurzeit erlebt der Manager wegen der Abgas-Affäre wohl die dunkelste Phase seiner Karriere. Der 54-Jährige ist angeschlagen - doch das war er schon öfter.

Die vergangene Woche dürfte eine der bittersten in der Karriere von Audi-Chef Rupert Stadler gewesen sein. Auf der Bilanzpressekonferenz am Mittwoch will er nach vorne blicken, will Mut machen, will seine Vision der Zukunft der Marke mit den vier Ringen präsentieren. In seinem Manuskript steht etwas von den Fortschritten bei den Diesel-Rückrufen, von neuen Elektroautos und von einer Erfolgsbeteiligung für die Mitarbeiter. Doch die Staatsanwaltschaft fährt Stadler an diesem Tag erbarmungslos in die Parade. Um sieben Uhr morgens rücken die Ermittler an, parken mit ihren wenig gepflegten Mercedes, BMWs und Skodas direkt vor dem Vorstandsgebäude. Ausgerechnet dort, wo sonst nur die auf Hochglanz polierten Karossen der Chefetage stehen. Und das alles an dem Tag, an dem mehr als 100 Journalisten aus aller Welt zu Gast sind. Medienwirksamer hätte man eine Razzia in Sachen Diesel-Affäre kaum organisieren können.

Stadler erfährt von der Durchsuchung angeblich auf dem Weg ins Büro. Als er wenig später vor die Presse tritt, muss er den Ärger, den er da höchstwahrscheinlich im Bauch hat, für sich behalten. "Wir kooperieren vollumfänglich mit den Behörden", sagt er immer wieder. Unaufhörlich haken die Journalisten nach, einige wollen wissen, ob er nicht "personelle Konsequenzen" ziehen müsse - sprich: zurücktreten. Der Aufsichtsrat habe "klare Aussagen" zu seiner Person gemacht - mehr gebe es dazu nicht zu sagen, erklärt Stadler.

Wie sehr wackelt nun sein Stuhl? Fest steht: Stadler weht derzeit ein eisiger Wind ins Gesicht. Nach der Jahrespressekonferenz spricht Stadler auf der MMI - der Managementinformation. Eine "eigenartige Stimmung" sei das dort gewesen, als Stadler am Rednerpult gestanden habe, berichtet einer der Teilnehmer. Zwar sei spontan Applaus aufgebrandet, als der Audi-Chef das neue Design gelobt habe, doch bei vielen anderen Punkten sei im Publikum gebrummelt und getuschelt worden. So, als sei man mit seinen Entscheidungen und Einschätzungen nicht wirklich einverstanden.

Fest steht aber auch: Der "Herr der Ringe" hat in seiner Karriere schon so manche Eiszeit unbeschadet überstanden. Es waren immer die anderen, die ihren Vorstandssessel räumen mussten. Als Stadler am 1. Januar 2007 seinen Posten als Audi-Chef antritt, sitzen neben ihm noch Werner Widuckel, Erich Schmitt, Michael Dick, Ulf Berkenhagen, Ralph Weyler und Frank Dreves im Vorstand. Mit gerade einmal 43 Jahren wird Stadler Nachfolger von Martin Winterkorn, der zum VW-Chef aufsteigt. Von den damals insgesamt sieben Audi-Vorständen ist heute nur noch einer im Amt: Stadler. Zehn Jahre an der Spitze. Das schaffen in der Autobranche nicht viele.

Vermutlich wären es ohne den Abgas-Skandal auch keine zehn Jahre bei Audi geworden. Angeblich stand schon fest, dass Stadler als Konzernfinanzchef zu Volkswagen wechseln sollte. Der damalige Technikchef Ulrich Hackenberg hätte dann die Audi-Führung übernommen. Doch dann kam Diesel-Gate. Stadler blieb und Hackenberg musste gehen.

Es ist kein Geheimnis, dass Stadler einen guten Draht in den Konzernhimmel hat. Vor allem zu Ferdinand Piëch, für den er auch bis vor Kurzem zwei Privatstiftungen leitete. Einige Jahre war Stadler Büroleiter des "Alten", als dieser VW-Vorstandschef war. Nun will Piëch seine VW-Anteile verkaufen. Die Auswirkungen für Stadler? Unklar.

Selbstverständlich kommt man nicht nur durch Kontakte an so einen Posten wie den des Audi-Chefs - und behält ihn über zehn Jahre. Stadler gilt als fleißig und ausdauernd. Das hat wohl auch mit seiner Kindheit zu tun. Aufgewachsen ist Stadler in einem Dorf 35 Kilometer von Ingolstadt entfernt. Auf einem Bauernhof mit "80 Tagwerk Landwirtschaft", wie er einmal in einem Interview verriet. Morgens ging es als Erstes in den Stall. Die Familie hatte Rinder, Milchkühe und Schweine. Stadler fuhr Traktor und half beim Säen und bei der Kartoffelernte.

Anerkennung von Mitarbeitern und Kollegen erntet der Vater von drei Kindern unter anderem durch seine Lernfähigkeit. In seiner Zeit bei Seat in Spanien paukt er laut eigener Aussage in der Sommerhitze von Barcelona in einem Intensivkurs die Landessprache - während die anderen in den Sommerurlaub fahren. Stadler spricht fließend Spanisch - zuletzt zeigte er das bei seiner Rede zur Eröffnung des Werks in Mexiko.

Es ist aber auch sein smartes Auftreten, das ihn als Manager glänzen lässt. Er ist schlank und immer top gekleidet. Seine Brille wechselt mit der Mode. Während andere Vorstandschefs von Autobauern auf Messen ihre Sätze oft emotionsbefreit von Telepromptern herunterleiern, und auf Englisch Worte so falsch betonen, dass es teils einer gewissen Komik nicht entbehrt, legt Stadler eine Dynamik an den Tag, die man ihm auch abkauft. Er mag nicht ganz so lässig sein wie Daimler-Kollege Dieter Zetsche, aber den ziemlich steifen VW-Boss Matthias Müller lässt er alt aussehen.

Stadler ist ein völlig anderer Typ als seine Vorgänger Winterkorn und Piëch. Über ihn kursieren keine skurrilen Geschichten über Vorkommnisse auf Abnahmefahrten - auch Wutausbrüche sind nicht überliefert. Er ist clever genug, sich auch von Journalisten nicht provozieren zu lassen. Selbst in einem sehr engen Kreis bei sogenannten Roundtable-Gesprächen oder bei einem Abendessen lässt er sich kaum etwas Neues entlocken. Meist bleibt er freundlich und charmant. Wenn kritische Fragen kommen, wird er manchmal leicht rot. Doch in der Regel bleibt er beherrscht und antwortet dann gerne mit Allgemeinplätzen. Er sagt dann Sätze wie "Das müssen wir jetzt sauber abarbeiten", "Das werden wir jetzt sukzessive angehen" oder "Lassen Sie sich überraschen".

Stadler ist studierter Betriebswirt - und nicht wie viele andere Autobosse Ingenieur. Er hat bei Audi vor allem das Prinzip des "Fast Followers" (schneller Verfolger) geprägt. Das bedeutet kurz gesagt, dass man der Konkurrenz das Risiko der Entwicklung neuer Fahrzeuggattungen überlässt - sollte deren Model erfolgreich sein, zieht man nach - mit einem Produkt, das noch besser ist.

Diese Strategie ging lange auf. Und die Verkaufszahlen gaben Stadler Recht. Einer der Höhepunkt der Marke mit den vier Ringen wird das Geschäftsjahr 2011: Das Unternehmen erwirtschaftet eine glänzende Umsatzrendite von 12,1 Prozent, die Mitarbeiter bekommen im Schnitt eine Erfolgsbeteiligung von 8251 Euro.

Doch die Fast-Follower-Strategie hat auch ihre Schattenseiten: Der vielbeschworene "Vorsprung durch Technik" schwindet. Auch beim Design hält Stadler viel zu lange an Bewährtem fest - und überhört die schon laute Kritik. Das Resultat: Die aktuellen Modelle A4, A5, Q5 und Q7 fanden in der Fachwelt - was die Optik angeht - ein verhaltenes Echo. "Kaum ein Unterschied zum Vorgänger erkennbar", war häufig zu lesen. Immerhin gelingt dem Audi-Chef mit Marc Lichte als Nachfolger von Designchef Wolfgang Egger ein echter Glücksgriff - betrachtet man Lichtes Entwürfe.

Deutlich weniger Geschick beweist Stadler bei der Wahl des Technik-Vorstands. Als Nachfolger von Michael Dick hebt er 2012 Wolfgang Dürheimer ins Amt - der muss schon nach einem Dreiviertel Jahr wieder gehen. Es folgt Ulrich Hackenberg, dem die Abgas-Affäre zum Verhängnis wird. Den folgenschwersten Fehler begeht Stadler aber wohl mit der Berufung von Stefan Knirsch. Auch dessen Zeit als Entwicklungschef ist nach gerade einmal neun Monaten abgelaufen - auch er soll in den Diesel-Skandal verwickelt sein. 3,8 Millionen Euro Abfindung erhält Knirsch trotzdem - doch der Schaden, was die Entwicklung neuer Modelle angeht, dürfte um ein Vielfaches höher sein. Bereits zuletzt kamen viele Modelle später auf den Markt als ursprünglich geplant - das dürfte sich in Zukunft fortsetzen.

Am Freitag hatte Stadler Geburtstag. 54 Jahre ist er nun. Vermutlich gab es schon schönere Feiern. Feiern, an denen er nicht so viel Negatives über sich lesen musste. Möglicherweise konnte er aber auch in der aktuellen Lage zumindest über einen Bericht schmunzeln. Eine große deutsche Zeitung schrieb in ihrem Online-Portal, Stadler hätte sich vor der Bilanzpressekonferenz an "einem schicken, gelben Kleinwagen" fotografieren lassen. Der Audi-Chef stand neben einem SQ5.