München
Volkswagen sucht den Daten-Schatz

09.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr
Foto: DK −Foto: Oppenheimer

Vom Autobauer zum Mobilitätsdienstleister: Diesen Wandel will der Wolfsburger Konzern in den nächsten Jahren meistern. Die Technik der Fahrzeuge ist dabei nur das eine. Im VW-Data-Lab in München tüfteln 50 Mitarbeiter daran, wie man durch clevere Algorithmen Prozesse optimieren kann - und so jede Menge Geld spart. Ein Besuch.

Sie haben sich alle Mühe gegeben, zumindest ein wenig Start-up-Atmosphäre zu schaffen: Hier ein paar bunte Hocker, da eine Chill-out-Sitzecke - und jede Menge neonfarbene Post-its an den Wänden. An einer Pinnwand neben einem Stehtisch hängen Zettel, auf die die Mitarbeiter des VW-Data-Labs schreiben dürfen, was ihnen gefällt und was nicht. "Obst" kommt offenbar gut an. Auf der Wunschliste dagegen steht: "Ruheraum, Liege ;-)". Zumindest was das Innenraum-Design anbelangt, zeigt der bislang eher als steif geltende - und bis vor wenigen Jahren unter Martin Winterkorn noch streng hierarchisch geführte - Volkswagen-Konzern Zeichen des Wandels. Man will kein behäbiger Tanker mehr sein, sondern ein wendiges Schnellboot. Die Digitalisierung verlangt Flexibilität. Und sie fordert vor allem ein hohes Tempo.

50 Mitarbeiter tüfteln hier in einem Bürogebäude in der Ungererstraße in München vor allem am Thema Künstliche Intelligenz - allerdings außerhalb des autonomen Fahrens. "Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind essenzielle Bausteine, um den Konzern in die Zukunft zu begleiten", sagt Barbara Sichler, die Geschäftsführerin des Data-Labs. Der Diesel-Skandal, der im September 2015 öffentlich wurde, hat die Wolfsburger wachgerüttelt - seitdem hat das Thema Digitalisierung einen besonderen Stellenwert. Das Data-Lab in München wurde allerdings schon vor vier Jahren gegründet - also noch bevor die Abgas-Affäre die Zeitrechnung in Wolfsburg neu ordnete.

Viele können sich unter Künstlicher Intelligenz - kurz KI - allerdings nur wenig vorstellen. "Das Thema wird gerade sehr gehypt", sagt Martin Hoffmann, Leiter der Volkswagen-Konzern-IT. Er will deshalb relativieren: "Das hat mit Hollywood nicht viel zu tun. KI ist gar nicht so abgehoben."

So wie die Roboter in der Fabrik größtenteils die schweren handwerklichen Arbeiten übernommen haben, so soll die KI unter anderem die Büro-Arbeiter entlasten. "Die Idee muss sein, nicht den Menschen zu ersetzen, sondern ihm Sisyphusarbeit abzunehmen", sagt Hoffmann. "Die letzte Entscheidungsinstanz muss aber immer dem Menschen überlassen sein."

Hoffmann ist - zugespitzt - so etwas wie der digitale Vollstrecker von VW. Neben ihm, dem CIO (Chief Information Officer), gibt es noch den CDO (Chief Digital Officer). Letzterer heißt Johann Jungwirth - im Konzern nur "JJ" (sprich: Jay-Jay") genannt. "JJ", der einst von Apple zu Volkswagen kam, entwickelt die langfristigen Pläne - in einer 5-Jahres-Perspektive. Die IT-Abteilung unter Hoffmann muss das dann umsetzen. Schwer zu sagen, wer da nun die schwierige Aufgabe hat.

Damit sich der Besucher besser vorstellen kann, woran im Data-Lab geforscht wird, gibt Hoffmann ein Beispiel. Bislang würden Preisanalysen für Ersatzteile in den verschiedenen Märkten noch von Menschen durchgeführt. Bei rund 500 000 Ersatzteilen händisch Excel-Listen zu aktualisieren, ist hoch aufwendig. "Das ist inzwischen für Menschen eine fast unlösbare Aufgabe", sagt der IT-Chef. Genau solche Dinge sollen künftig Computer übernehmen. In diesem Fall soll ein schlauer Algorithmus automatisch den Markt scannen, Preise anpassen und die Auswirkungen auf den Absatz beobachten. Verkauft sich etwas schleppend - weil es zu teuer ist - wird es eben wieder billiger gemacht. In England und Österreich habe man die Software bereits getestet - bald soll sie konzernweit ausgerollt werden.

Welchen enormen Wert Daten heutzutage haben, zeigt sich an einem Zukauf, den Volkswagen über die Porsche SE im vergangenen Sommer tätigte. Damals erwarb man die Firma PTV ("Planung Transport Verkehr"). Das Unternehmen mit weltweit mehr als 700 Mitarbeitern entwickelt Software für die Planung von Verkehr und Transportlogistik, bietet aber auch Beratungsleistungen zu den Themen an. Will nun beispielsweise eine Stadt wissen, wo Ampeln oder Parkplätze gebaut werden müssen, kann PTV eine gezielte Analyse des Verkehrs erstellen. Die dafür nötigen - besonders exakten - Verkehrsdaten kommen von den Navi-Betreibern und Telefon-Anbietern. Diese verkaufen - anonymisiert - die Bewegungsdaten ihrer Kunden.

Doch auch andere sitzen auf einem Daten-Schatz. Das große Problem ist, dass der erst einmal genau lokalisiert werden muss. Das gilt auch für Volkswagen. "Ich sage immer: Wenn Volkswagen wüsste, was Volkswagen weiß...", sagt Data-Lab-Chefin Sichler. Im Prinzip ist es die Hauptaufgabe ihrer Mannschaft, die Datenschätze zu finden und zu heben. "Wir haben bislang mehrere Hundert Millionen Euro an Einsparungen identifiziert", erklärt Sichler. "Wir werden gemessen an den Euros, die wir dem Unternehmen zurückgeben."

Daten sind teuer. Denn entweder muss man fremde Daten einkaufen oder die eigenen Daten aufbereiten - und letzteres kann ziemlich aufwendig sein. Deshalb sei eines der Ziele des Data-Labs, Algorithmen zu entwickeln, die mit wenig Daten auskommen, erklärt Patrick van der Smagt, der vor eineinhalb Jahren zum Team stieß - zuvor war er Professor im Bereich Robotik an der Technischen Universität München. "Ich mag den Begriff ,Künstliche Intelligenz' eigentlich nicht", erklärt van der Smagt. Denn jeder verstehe etwas anderes darunter. Letztenendes ginge es hier vor allem um maschinelles Lernen und Datenabgleich. "Unüberwachtes Lernen klingt wie Magie", sagt van der Smagt. "Ist es aber nicht. Mit Tools aus der Wahrscheinlichkeitstheorie ist das relativ einfach machbar."

Ein weiteres Projekt, an dem in der Ungererstraße gearbeitet wird, ist ein Chat-Bot für Bestellungen. Hier geht es vor allem um Zeitersparnis. Statt sich lange durch SAP-Masken zu klicken soll der Bot mit wenigen Rückfragen erkennen, was benötigt wird und dann automatisch den besten Preis einholen. Ohne den "alten" Prozess zu kennen, sieht das Ganze in einem von einer Mitarbeiterin gezeigten Demo-Video trotzdem noch irgendwie recht langwierig aus. Das Team im Data-Lab arbeitet übrigens an Ideen für alle Konzernmarken.

Um in der sich immer schneller drehenden digitalen Welt mitzuhalten, sucht Volkswagen auch den Kontakt zu Start-ups. Im Data-Lab werden deshalb ausgewählte Jungunternehmen gefördert. Die Bedingung: Sie müssen sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen und an Ideen forschen, die dem VW-Konzern ebenfalls in irgendeiner Form weiterhelfen können. Drei Monate können die Start-ups im Data-Lab einziehen, dazu gibt es pro Monat 5000 Euro Unterstützung.

Besonders wertvoll sei allerdings die Erfahrung der VW-Experten, sagt Erich Payer, Chef des Start-ups Deep Virtuality, der es in das Data-Lab-Programm geschafft hat. Sein Unternehmen beschäftigt sich mit KI und Simulationen im Bereich Maschinenbau. "Wir konnten hier unsere Trainingszeit eines neuronalen Netzes für die Festigkeit einer Kurbelwelle von 3 Tagen auf 13 Minuten senken", sagt Payer. Er scheint jedenfalls zufrieden

Allerdings ist Payer eher eine Ausnahme, die Masse an qualifizierten Start-ups überschaubar. "Wir haben viele Bewerber, denen die Erfahrung fehlt", sagt Sichler. 100 Start-ups hatten sich zuletzt beworben, 5 davon dürften 3 Monate im Data-Lab arbeiten.

Auch die Suche nach Experten für das Lab ist nicht ganz einfach. "Die Leute fallen nicht vom Himmel", sagt IT-Chef Hoffmann. Trotzdem soll die Mannschaft noch im Laufe dieses Jahres auf rund 70 Mitarbeiter anwachsen. Mehr als 100 sollen es aber nicht werden, sonst gehe der Start-up-Charakter verloren.

20 Sprachen werden im Data-Lab gesprochen. Menschen aus 15 Nationen arbeiten hier. In der Kantine - die noch aus Zeiten stammt, als MAN in dem Gebäude residierte - merkt man das nicht. Es gibt Fleischpflanzerl mit Spätzle.