London
Für einen weichen Brexit

EU-Binnenmarkt und Zollunion: Britische Wirtschaft fordert rasche Übergangslösung

07.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:49 Uhr

London (DK) Führende britische Unternehmensverbände erhöhen den Druck auf ihre Regierung in Sachen Brexit. Sie fordern den Verbleib des Landes in EU-Binnenmarkt und Zollunion, solange keine Anschlussvereinbarung in Sicht ist.

Der britische Industrieverband "Confederation of British Industries" (CBI) hat einen raffinierten Plan. Bevor Großbritannien die Europäische Union endgültig verlässt, sagte CBI-Chefin Carolyn Fairbairn am Donnerstag, müsse es eine Übergangsregelung geben, mit der das Land weiterhin im Binnenmarkt und der Zollunion verbleiben kann, bis ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU vereinbart ist. Das klingt erst einmal vernünftig. Kaum jemand, und sicherlich nicht die Wirtschaft, möchte einen Klippen-Brexit, bei dem das Königreich im März 2019 ausscheidet und nach den Regeln der Welthandelsorganisation seinen Außenhandel betreiben muss. Das würde hohe Zölle und regulatorische Schranken bedeuten.

Den Brexit-Hardlinern in Großbritannien allerdings gefällt der Vorschlag überhaupt nicht. Denn der CBI spekuliert darauf, dass eine lange und womöglich unbefristete Übergangslösung darauf hinausläuft, dass sich erst einmal für Großbritannien gar nichts ändert. Der Brexit wäre ausgehebelt. Sogar ein "Exit vom Brexit", eine Rücknahme der Referendumsentscheidung, wäre denkbar, sollte sich die Stimmung im Land drehen und sich in den Verhandlungen über die zukünftige Wirtschaftsbeziehung zwischen EU und Großbritannien abzeichnen, dass das Land keinen Deal erreichen kann, der befriedigend wäre.

Der Ruf nach einer Übergangsregelung wurde am Freitag lauter. Ein Leitartikel in der Wirtschaftszeitung "Financial Times" forderte Premierministerin Theresa May auf, "klarzumachen, dass die Regierung sich auf eine Übergangsperiode festlegt, die lang genug ist, sowohl der Wirtschaft wie der Regierung zu erlauben, sich auf das neue Regime einzustellen". Und auf dem Landsitz Chevening traf sich am Freitag der Brexit-Minister David Davis mit den Spitzen von Konzernen und Wirtschaftsverbänden, die ihn bedrängten, wie Adam Marshall, Direktor der Britischen Handelskammer erklärte, "Arbeitsplätze, Investment und unser aller Wohlstand" ins Zentrum der Brexit-Gespräche zu stellen.

Kein Zweifel: Die britische Wirtschaft macht mobil für einen weichen Brexit. Ein Jahr ist vergangen, seitdem die Briten für den Austritt stimmten, und in dieser Zeit ist auf die Sorgen von Handel, Industrie und Unternehmen seitens der Regierung kaum gehört worden. Stattdessen hatte Theresa May im Frühjahr in einem Weißbuch einen 12-Punkte-Plan vorgestellt, der auf einen harten Brexit hinausläuft: Kontrolle über die Einwanderung zurückgewinnen, Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion sowie Zurückweisung der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes.

Jetzt sieht die Wirtschaft ihre Chance, weil May in den vorgezogenen Neuwahlen, die sie ausgerufen hatte, um eine deutliche Mehrheit für ihren harten Brexit-Kurs zu bekommen, entscheidend geschwächt wurde. Die absolute Mehrheit im Unterhaus hat sie verloren, sie ist jetzt auf die Stimmen der nordirischen DUP angewiesen. Die Machtverschiebung hat zu einer neuen Dynamik geführt. Den Hardlinern im Kabinett - wie Außenminister Boris Johnson oder Handelsminister Liam Fox - macht jetzt der Finanzminister Philip Hamond Druck, der bei den Verhandlungen die wirtschaftlichen Interessen des Landes priorisieren will. Im Unterhaus formieren sich erste parteiübergreifende Allianzen, die einen harten Brexit verhindern wollen.

Vor den Wahlen hatte May noch getönt, dass "kein Deal besser als ein schlechter Deal" sein würde. Jetzt wird es das Unterhaus nicht zulassen wollen, dass es zu einem Fall über den Klippenrand kommt. Die Chancen auf einen weichen Brexit sind gestiegen.