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"Die große Koalition muss liefern"

30.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:53 Uhr

Berlin (DK) DGB-Chef Reiner Hoffmann spricht im Interview über Befristungen, Mindestlohn und notwendige Investitionen.

Herr Hoffmann, die SPD fordert das Ende der sachgrundlosen Befristung, die Arbeitgeber sehen das Instrument als Chance für Berufseinsteiger und Langzeitarbeitslose. Ist da nichts dran?

Reiner Hoffmann: Wenn das Argument zutreffen würde, hätten wir nicht immer noch 900 000 Langzeitarbeitslose. Die sachgrundlose Befristung muss fallen. Wir haben im Arbeitsrecht acht Gründe für Befristungen. Die notwendige Flexibilität für die Unternehmen ist dadurch sichergestellt. Sachgrundlose Befristung geht gar nicht. Die Arbeitgeber fordern immer sichere Rahmenbedingungen, aber ihren Beschäftigten wollen sie keine sicheren Rahmenbedingungen bieten. Dafür habe ich kein Verständnis.

 

Sind Kettenbefristungen nicht das viel dringendere Problem?

Hoffmann: Kettenbefristungen sind ein ebenso großes Problem. Das trifft insbesondere den Öffentlichen Dienst. Im Hochschulbereich müssen Kettenbefristungen dringend begrenzt werden. Die große Koalition muss hier liefern. Gefragt sind auch die Bundesländer. In Baden-Württemberg werden rund 8000 Referendare und Lehrer nur bis zu den Schulferien angestellt, dann werden sie arbeitslos. Nach den Schulferien erhalten sie wieder einen Vertrag bis zu den nächsten Sommerferien. Diese Praxis darf nicht fortgesetzt werden.

 

Der Mindestlohn muss hoch?

Hoffmann: Selbstverständlich muss der Mindestlohn angehoben werden. Der Spielraum ist vorhanden, die Voraussetzungen sind optimal. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist sehr gut, die Arbeitsmarktsituation ist hervorragend, und die Tariflöhne sind kräftig gestiegen. Mittelfristiges Ziel muss sein, den Mindestlohn existenzsichernd zu machen.

 

Wäre es bitter für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn die GroKo noch scheitern würde?

Hoffmann: Im Sondierungspapier steckt für die arbeitende Bevölkerung schon deutlich mehr Substanz als bei den Jamaikanern. Und ich erwarte Nachbesserungen in den Koalitionsverhandlungen. Wenn die große Koalition scheitert, würden viele Verbesserungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Straße liegen gelassen. Bei einer Neuwahl sehe ich keine Chance auf eine politische Konstellation, die mehr für die Menschen im Land herausholen könnte, im Gegenteil. Vielleicht noch wichtiger: Wenn jetzt keine Regierung zustande kommt, werden wir es nicht schaffen, die notwendigen Reformen in Europa auf den Weg zu bringen. Das Zeitfenster schließt sich Ende des Jahres. Wenn wir bis dahin keine klare Orientierung einer neuen Bundesregierung haben, wird das Scheitern der europäischen Währungsunion zur ganz akuten Gefahr. Die Nachteile für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wären enorm.

 

Die SPD war mit dem Ruf nach einer Investitionsoffensive angetreten. Davon ist in den Sondierungen nicht viel übrig geblieben, oder?

Hoffmann: Hier ist das Sondierungsergebnis viel zu mager. Es ist ein großer Fehler, dass die Union bedingungs- und besinnungslos am Dogma der schwarzen Null festhält. Es gibt die Chance, in den kommenden Jahren wirklich dort zu investieren, wo das Geld ganz dringend gebraucht wird: bezahlbarer Wohnraum, die Energiewende, der Verkehr, die energetische Gebäudesanierung, die Schulen. Auf allen Feldern fehlen klare Perspektiven. Wenn dabei jetzt nachgelegt wird, können Union und SPD die Menschen von der großen Koalition überzeugen. Wenn es Eltern wieder Spaß macht, ihre Kinder in die Schulen zu schicken, wäre viel gewonnen.

 

Thema Metall-Tarifstreit: Warum sollten die Arbeitgeber mehr dafür bezahlen, dass bestimmte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit finanziellem Ausgleich in Teilzeit gehen?

Hoffmann: Die Arbeitgeber fordern ohne Pause differenzierte Arbeitszeitmodelle, die den Bedürfnissen ihrer Beschäftigten gerecht werden. Genau dafür hat die IG Metall einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Andere Branchen sind da längst weiter. Es ist nicht einsehbar, mit welcher Borniertheit sich die Arbeitgeber verweigern, die Unternehmen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiver zu machen. Wenn sich Gesamtmetall nicht bewegt, vertun die Arbeitgeber die Chance, neue Fachkräfte zu gewinnen und ihre Belegschaften an sich zu binden.

 

Statt Kompromisssignalen drohen die Arbeitgeber mit Klagen. Wie herauskommen aus der Eskalationsspirale?

Hoffmann: Klagedrohungen sind ein alter Hut der Arbeitgeber. Das sehen wir ganz gelassen. Die Forderungen der IG Metall sind berechtigt und justiziabel.

 

Das Interview führte

Tobias Schmidt.