Ingolstadt
Virtueller Rücken-Coach

Kleiner Anstecker, große Wirkung: Ingolstädter Christoph Tischner gründet Start-up "8sense"

23.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt/Rosenheim (DK) Kein geringeres Ziel, als das Volksleiden Nummer eins zu bekämpfen, haben sich Christoph Tischner und Ralf Seeland mit ihrem Start-up "8sense" vorgenommen: Rückenschmerzen. Nun beginnt die heiße Phase ihres noch jungen Unternehmens.

Nicht mal so groß wie ein Feuerzeug, nur gute fünf Zentimeter lang und so flach, dass man ihn kaum am Hemdkragen erkennen kann: Dieser kleine Ansteckclip ist der ganze Stolz der beiden Männer, die sich vor einigen Monaten zusammengetan und das Start-up "8sense" gegründet haben. Christoph Tischner, 27 Jahre alt und Vertriebschef, ist waschechter Ingolstädter - fürs Studium hat es ihn aber erst nach Regensburg und dann nach Rosenheim verschlagen. Dort hat der Wirtschaftsingenieur auch seinen heutigen Geschäftspartner kennengelernt - bei einem Vortrag für Gründer ist man ins Gespräch gekommen. Ralf Seeland, 42 Jahre alt, hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Idee für den Clip, weil er selbst an Rückenschmerzen leidet.

Und so funktioniert das Herzstück von "8sense": Den Clip steckt man sich an den Hemdkragen oder ans T-Shirt, in ihm versteckt sind zahllose Sensoren - und die erfassen und analysieren Haltung und Bewegung des Trägers, beispielsweise auch die Sitzposition im Büro. Dazu gehört eine Anwendung auf dem Handy, auf das die Daten per Bluetooth geschickt werden. "Eine Besonderheit des Wearables ist das haptische Feedback", erklärt Entwicklungschef Ralf Seeland. "Wenn jemand zu lange in einer starren Haltung sitzt, erinnert der Sensor den Träger durch sanftes Vibrieren, seine Sitzposition zu verändern."

Die Daten und das Verhalten können über die App - wenn gewünscht - in Echtzeit visualisiert werden. Sie bilden die Grundlage dafür, das eigene Verhalten zu verändern. "Nur wenn mir ein Problem bewusst ist, bin ich auch in der Lage, etwas zu ändern", sagt Seeland. "8sense", auf Deutsch der "achte Sinn", ist demnach der virtuelle Coach als ständiger Begleiter. Jeder Nutzer kann verschiedene Trainingsziele angeben. Beispiel: eine Stunde am Tag aufrecht sitzen. Oder weniger sitzen. "Andere Sport-Apps individualisieren ihre Trainingspläne größtenteils durch das subjektive Feedback ihrer User. Unser Coach passt das Training an das Alltagsverhalten an und lernt aus der Trainingserfassung durch den Sensor."

Der Ingolstädter, der am Apian-Gymnasium Abitur geschrieben hat, hat sich drei Monate lang intensiv mit Seelands Idee auseinandergesetzt, hat mit potenziellen Kunden gesprochen und so Chancen und Risiken des Produkts analysiert - mit positivem Ergebnis. "Auf den ersten Blick hat vieles Potenzial", sagt er. "Aber das muss man sich schon genauer anschauen." Mit dem Gang zum Notar und seiner Unterschrift ist er Partner geworden.

Was folgte, waren anstrengende Monate mit viel Arbeit und wenig Schlaf: Es wurde ein Team aus Experten aufgebaut, darunter Entwickler und Mediziner - viele junge Leute, die als Werkstudenten angestellt sind. "Wir haben unsere Produktstrategie unzählige Male angepasst", erzählt der 27-Jährige. "Das ist manchmal sehr frustrierend, aber notwendig, um den Bedürfnissen des Marktes und neuesten wissenschaftlichen Standards gerecht zu werden. Mal alles über den Haufen zu werfen, das gehört bei einem Start-up dazu."

Ist ein Kunde in Behandlung bei einem Physiotherapeuten, kann der die App über eine Schnittstelle nutzen und eigene Trainingspläne anlegen. Der Sensor kann in Echtzeit Feedback über die Ausführung geben. Mögliche Abnehmer könnten aber auch Unternehmen sein. "Wir haben Kunden aus der Autobranche als Pilotkunden gewonnen, deren Angestellte unter Rückenschmerzen leiden", erzählt Tischner. "Der moderne Büroarbeiter sitzt bis zu zwölf Stunden jeden Tag. In den USA heißt es schon: ,Sitzen ist das neue Rauchen.'" Fast ein Drittel aller Deutschen leide mittlerweile unter wiederkehrenden Rückenschmerzen.

Noch arbeiten die beiden Gründer wie besessen an ihrem Produkt - fertig ist es noch nicht. Aber erste Erfolge können sie schon aufweisen. Das bayerische Wirtschaftsministerium hat das Projekt mit 36 000 Euro unterstützt. Nun startet für "8sense" die Crowdfunding-Phase. Das ist mittlerweile kein ganz neuer Weg der Finanzierung mehr - immer mehr Start-ups wählen diese Variante. Vier Wochen lang können Interessierte ab heute den Anstecker im Vorverkauf erwerben. "Mit dem Geld können wir die Produktentwicklung abschließen und den Clip nach vier bis sechs Monaten ausliefern", erklärt Tischner. Der "achte Sinn" soll eines Tages für 119 Euro zu haben sein. Bei der Crowdfunding-Kampagne kann man ihn am ersten Tag für 69 Euro kaufen, danach kostet er 79 Euro. 40 000 Euro sollen so zusammenkommen. Über die Homepage des Unternehmens findet man alle weiteren Infos und den Link zur Mitfinanzierung.