Frankfurt
"Transformation trifft Tradition"

Studie: Digitalisierung ist kein Jobkiller Werkzeugbauer Siebenwurst treibt Vernetzung konsequent voran

09.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:20 Uhr

Foto: DK

Frankfurt/Dietfurt (DK) Digitalisierung als Jobkiller - von dieser Vorstellung hat sich der Mittelstand in Bayern verabschiedet. Die Unternehmen rechnen laut einer Umfrage vielmehr mit steigendem Personalbedarf. Sie müssen die Mitarbeiter bei der digitalen Transformation aber auch wirklich mitnehmen.

Mit dem Begriff der "digitalen Revolution" sind nicht selten mehr oder minder große Ängste verbunden: Fehler zu machen, im Job nicht mehr mithalten zu können, gar den Arbeitsplatz an eine Maschine zu verlieren. Doch wer sich dem rasanten technologischen und kulturellen Wandel der Arbeitswelt nicht verschließt und sich weiter qualifiziert, hat kaum etwas zu befürchten. So rechnen mittlerweile 42 Prozent von 657 bayrischen Mittelstandsunternehmen im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung mit einem wachsenden und 51 Prozent mit einem gleichbleibenden Personalbedarf. Dies hat die Studie "Unternehmen Zukunft: Transformation trifft Tradition" von TNS Infratest für die Commerzbank ergeben. Lediglich 7 Prozent rechnen noch mit Jobverlusten.

Nach den Worten von Christian Feil, bei dem Geldinstitut als Niederlassungsleiter zuständig für das Mittelstandsgeschäft in Ingolstadt, Regensburg und Passau, haben 20 Prozent aller bayerischen Mittelständler bei der digitalen Transformation "die Nase vorn". Die Firmen im Freistaat zählten in dieser Hinsicht neben den Betrieben in Berlin und Baden-Württemberg zu den Spitzenreitern. Dringend gebraucht würden aber qualifizierte Mitarbeiter. Feil: "Lern- und Kooperationsbereitschaft stehen bei der Suche ganz oben auf der Liste. Mit der Öffnung für Quereinsteiger und neue Zielgruppen ist der Mittelstand bereits auf dem richtigen Weg."

Auf diesem Weg ist seit Längerem auch der Dietfurter Unternehmer Christian Siebenwurst. Er hat frühzeitig die Chancen der Digitalisierung erkannt und konsequent Zug um Zug in seinem Werkzeugbauunternehmen umgesetzt. Nicht nur der eigene Betrieb ist komplett vom Auftragseingang über Einkauf, Buchführung, Konstruktion, Produktionsplanung und Fertigung bis hin zur Auslieferung komplett vernetzt. Das senkt die Kosten - allein 4000 Kilogramm Papier spart sich Siebenwurst durch die konsequente Digitalisierung - und stärkt die Position im Wettbewerb. Zudem hat sich die Firma mit anderen Betrieben sowie externen IT-Plattformen von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Instituten vernetzt. So sei es möglich, "traditionelle Fertigung und neue Technologien sinnvoll und effizient miteinander zu verbinden", sagt Siebenwurst.

Das geht allerdings nicht ohne entsprechend qualifizierte Mitarbeiter. Rund 800 Beschäftigte zählt das Dietfurter Unternehmen weltweit, gut 400 sind es am Heimatstandort. Und viel Personal zieht sich Siebenwurst weitgehend selbst heran: 50 Lehrlinge lernen in einer "Ausbildungswerkstatt, in der eine komplette Fabrik dargestellt werden kann". Aber auch schon länger Beschäftigte werden ständig weiterqualifiziert. So mache zum Beispiel derzeit "ein Mitarbeiter aus der Konstruktion eine IT-Weiterbildung" um künftig auch die "Konstruktionsmethodik in Programmiersprachen umsetzen zu können", berichtet der Unternehmer. Aus- und Weiterbildung lasse man sich jährlich "mehr als eine Million Euro" kosten.

Dabei geht es Siebenwurst offensichtlich noch gut, denn viele der in der Studie befragten und beim digitalen Wandel besonders aktiven Unternehmen (digitale Transformatoren) beklagen, dass der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern sie bei ihren Innovationsvorhaben bremse. 71 Prozent der bayerischen Firmen suchten Kräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung, auch Hochschulabsolventen seien gefragt, so Feil.

Dabei, so zeigt die Befragung, ticken die Mitarbeiter heute auch anders als früher. Interesse an weiterer Qualifizierung sei stark ausgeprägt, ebenso aber auch der Wunsch nach mehr Freiräumen zur Umsetzung eigener Ideen. Und: Die Beschäftigten wünschen sich - neben einer stimmigen Work-Life-Balance - mehr Informationen über die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Andererseits besteht bei vielen Mitarbeitern vielfach noch der Wunsch, den Status Quo zu bewahren und alte Arbeitsstrukturen zu erhalten.

Das ist eine klare Aufgabe für das Management: "Die digitale Transformation erfordert einen Führungsstil, der die Mitarbeiter mitnimmt. Deren Wunsch, beteiligt zu werden, sollte eine Ermutigung sein, neue berufliche Perspektiven, flachere Hierarchien und ein innovatives Klima im eigenen Unternehmen zu etablieren", so Commerzbank-Experte Feil. Die Führungskraft muss mithin mehr zum Motivator und Moderator werden, der mit Respekt, Vertrauen und schnellen Entscheidungen sowie Mut zu Innovationen seinen Verantwortungsbereich koordiniert.

In den meisten bayerischen Mittelstandsunternehmen ist das offenbar der Studie zufolge durchaus schon angekommen - sie verändern ihre Organisation und Kultur: Demnach werden Mitarbeitern zunehmend individuelle Freiheiten eingeräumt und Möglichkeiten gegeben, eigene Projekte selbstständig zu verwirklichen. In mehr als der Hälfte der Firmen gibt es abteilungsübergreifende Innovations- und Pilotprojekte und in manchen Betrieben - wie etwa bei Siebenwurst - gibt es bereits spezielle Expertenlaufbahnen.

Allerdings scheitert die neue digitale Firmenwelt oft noch an der mangelhaften Infrastruktur. Der Studie zufolge sind 36 Prozent der befragten bayerischen Mittelständler "äußerst oder sehr unzufrieden" mit der digitalen Infrastruktur - bundesweit sind es sogar 41 Prozent. Christian Siebenwurst mag in den Chor der Unzufriedenen allerdings nicht einstimmen, denn zumindest in Dietfurt wird jetzt informationstechnisch gewaltig aufgerüstet - "bis zum letzten Aussiedlerhof".