Essen (DK
Ein europäischer Riese wird geschmiedet

Thyssenkrupp und Tata einigen sich auf Fusion ihrer Stahlsparten IG Metall lehnt Pläne strikt ab

20.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

Essen (DK) Stimmungsvolle Bilder unterlegt mit schwungvoller Musik: Mit einem eigens produzierten Imagefilm sollten Beschäftigte und Pressevertreter bei Thyssenkrupp gestern auf die Vorzüge eines geplanten Zusammenschlusses der Stahlsparte mit dem indischen Konkurrenten Tata eingestimmt werden. Auch ein Rückblick auf die Fusion von Thyssen und Krupp vor bald 20 Jahren fehlt nicht.

Konzernchef Heinrich Hiesinger sprach anschließend von einer "Vorwärtsstrategie", mit der man der Teufelsspirale von drückenden Überkapazitäten und immer neuen Restrukturierungsnotwendigkeiten endlich entkommen wolle.

"Wir wollen einfach vermeiden, dass sich der Stahl zu Tode restrukturiert", begründete der Konzernchef seine Pläne. Gleichzeitig werde durch die Einbringung der Stahlsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen die Eigenkapitalquote des Konzerns "signifikant" verbessert, sodass mehr Spielraum für die Industriegeschäfte geschaffen werde, warb der Konzernlenker eindinglich.

Doch die Pläne stoßen seit Monaten auf den erbitterten Widerstand von Betriebsräten und IG Metall. Sie fürchten durch den Zusammenschluss den Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen und die Schließung ganzer Standorte in Deutschland. Der Sitz des neuen Unternehmens soll bei Amsterdam sein. Durch die überraschende Vorlage der Grundsatzvereinbarung für ein Gemeinschaftsunternehmen fühlt sich Betriebsratschef Günter Back überrumpelt. Die Macher des Imagefilms seien eher über die Pläne informiert gewesen als die Belegschaft, beklagt er.

Eine Abstimmung über die Pläne im Aufsichtsrat, in dem zur Hälfte Mitglieder der Arbeitnehmerseite sitzen, wird es zunächst nicht geben. Doch vor einer möglichen Fusion muss Heinrich Hiesinger das Vorhaben schließlich doch den Kontrolleuren zur Abstimmung vorlegen. Vor allem bei den Arbeitnehmervertretern wird er viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Der Dialog werde in der kommenden Woche beginnen, kündigte er gestern an.

Insgesamt sollen zunächst rund 4000 Arbeitsplätze wegfallen, davon etwa die Hälfte in Deutschland. Doch während bei Tata der indische Anteilseigner nach den Worten von Europa-Chef Hans Fischer bereits hinter dem möglichen Zusammenschluss steht, haben die Arbeitnehmervertreter innerhalb des Aufsichtsrats des Essener Konzerns zunächst eine klare Ablehnung der Pläne angekündigt. Die Stimmung in den Betrieben sei "aufgeladen", berichtete Betriebsratschef Back. Beschäftigte hätten ihre Arbeitsplätze verlassen, sodass es bereits zu Einschränkungen bei der Produktion gekommen sei.

Kritische Stimmen kommen aber auch aus der IG Metall. Knut Giesler, Chef der IG Metall in NRW, forderte gestern die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standorten. "Natürlich sehen wir die Gefahr, dass weit mehr Jobs wegfallen werden als die angekündigten 2000. Deswegen machen wir eine Zustimmung zur Fusion von einer Standort- und Beschäftigungssicherung abhängig", sagte er gestern unseren Berliner Korrespondenten. Diese liege nicht vor. "Auch die Mitbestimmung ist nicht garantiert. Ohne diese wird es von uns kein grünes Licht geben", so Giesler.

Die Konzerne bleiben hingegen bei ihrer Sicht, der Zusammenschluss würde das Stahlgeschäft zukunftsfähig machen. Giesler will das nicht gelten lassen: "Die deutschen Stahlwerke sind die am besten ausgelasteten in Europa. Mit 85 Prozent haben wir Auslastungswerte aus Vorkrisenzeiten. Jede Tonne Stahl, die in Deutschland nicht mehr produziert werden würde, müsste aus einem anderen Land importiert werden", erklärte der Gewerkschafter. Man sehe derzeit keine Überproduktion in Deutschland. "Thyssenkrupp ist kein Sanierungsfall, sondern schreibt schwarze Zahlen. Deshalb verstehen wir nicht, warum jetzt Kapazitäten und Jobs in Deutschland abgebaut werden sollen."

Giesler nahm zudem die Politik in die Pflicht. "Wir erwarten von der Landes- und Bundesregierung, dass sie dafür sorgen, dass die Stahlindustrie zukunftsfähig bleibt. Stahl ist kein auslaufendes Produkt", sagte er im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion.

Unterdessen mahnte Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) gestern angesichts der "großen Tragweite" der Entscheidung für die Region eine Verständigung an. "Gegen die Arbeitnehmer ist keine tragfähige Lösung denkbar", argumentierte sie. Und SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach sich für den Erhalt des Firmensitzes innerhalb Deutschlands aus.

Positive Signale kamen hingegen aus der nordrhein-westfälischen Landesregierung. "Die Fusion bietet aus heutiger Sicht eine gute Perspektive für den Standort Nordrhein-Westfalen", sagte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in Düsseldorf. So könne "ein Optimum an Arbeitsplätzen gesichert werden". ‹ŒKommentar Seite 2