Eine abgefahrene Geschäftsidee

14.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:39 Uhr

Produkt mit Profil: Reiner Hartweg (rechts) stellt die ausgefallenen Gürtel aus Fahrradreifen her, Jürgen Schulze vertreibt sie im Internet. - Foto: Janda

Ingolstadt (DK) Einen alten Fahrradreifen wegwerfen? Für Reiner Hartweg kommt das überhaupt nicht in Frage. "Pure Verschwendung" wäre so etwas in seinen Augen. Deshalb hat sich der 47-jährige Ingolstädter eine etwas ungewöhnliche Geschäftsidee ausgedacht: Seit einigen Jahren verarbeitet er gebrauchte Gummimäntel weiter – zu modischen Gürteln.

Zaach heißt die Marke, unter der Hartweg und sein Geschäftspartner Jürgen Schulze die abgefahrenen Produkte im Internet vertreiben. Und der Name ist Programm: Ins Hochdeutsche übersetzt bedeutet das bayerische "Zaach" ganz einfach "zäh", was passenderweise auch auf die robusten Gürtel zutrifft. Hartweg hebt sein Hemd ein Stück hoch und enthüllt einen seiner Reifengürtel, ein älteres Modell, das er selbst seit Jahren trägt. Wie sich das anfühlt? "Einfach bequem", sagt er und lacht.

Start vor 15 Jahren

Der Gummi der Fahrradreifen ist in seinen Augen das ideale Material für Gürtel. "Im Gegensatz zu Leder – das kann doch sehr steif werden", meint er. Zuhause im Keller, auf dem Balkon oder auch mal im heimischen Garten schneidet und stanzt Hartweg die ausgefallenen Gürtelmodelle zurecht. Anschließend kommen die Gummistücke in die Waschmaschine. "Man weiß ja nicht, wo die schon überall durchgefahren sind", sagt Schulze grinsend. Zirka 20 bis 30 Minuten braucht Hartweg inzwischen – nach jahrelanger Übung –, um einen Gürtel herzustellen. Am Anfang hat es freilich länger gedauert. Gut zwei Stunden habe ihn das erste Stück vor etwa 15 Jahren beschäftigt, verrät er. "Eine Höllenarbeit."

Dass er damals überhaupt ausprobiert hat, sich statt eines üblichen Ledermodells eines aus einem alten Fahrradreifen umzuschnallen, war alles andere als geplant. Genauso wenig wie er vorhatte, mit seiner Idee Geld zu verdienen. Schuld war sein alter Gürtel, der ihm eines Tages kaputtging. "Ich hatte dann zufällig einen alten Reifen da", sagt er, "und das hab ich dann ausprobiert." Und es hat funktioniert. Der erste selbst gemachte Gürtel – damals noch mit Schrauben statt Nieten – hielt immerhin um die zehn Jahre.

Jedes Stück ein Unikat

Ein positiver Nebeneffekt der Arbeit: Mit seinem Konzept der Wiederverwertung leistet Hartweg auch einen kleinen Beitrag zu einer besseren Umwelt. Neue Reifen zu verwenden hätte deshalb auch niemals zur Debatte gestanden, erklärt Hartwegs Partner Schulze. Außer einmal: "Ein Kunde wollte mal einen Gürtel aus einem ungebrauchten Reifen", erinnert sich Hartweg. "Das mach’ ich aber nicht mehr, da hat mir damals mein Herz geblutet."

Nachschub bekommt Reiner Hartweg von den Ingolstädter Fahrradgeschäften. Allzu oft werden dort nämlich Reifen ausgetauscht, die noch brauchbar sind. "Viele Leute möchten eben vorne und hinten gleiche Reifen haben", weiß der Gürtelmacher. Die alten Stücke kriegt er natürlich kostenlos. "Ich nehme den Firmen ja die teure Entsorgung ab." Weil viele Radler mit zu wenig Luft unterwegs sind, ist die Lauffläche – denn nur die braucht Hartweg für seine Gürtel – meist auch noch völlig in Ordnung. Denn: Je weniger abgefahren der Reifen ist, desto schöner kommt das Profil, das beim Gürtel später als Muster dient, zur Geltung. Außerdem ist jeder Gürtel ein Unikat – weil jeder Reifen unterschiedlich stark benutzt wurde. "Bei uns gibt’s deshalb keine zwei Gleichen", erklärt Schulze.

Für einen Zaach-Gürtel ist übrigens nicht jeder Reifen geeignet. "Ein Mountainbike-Reifen ist optisch sehr schön", sagt Hartweg. "Weil er sehr grobstollig ist, bekommst du den aber nur schwer durch die Gürtelschlaufen." Auch spezielle Reifen gegen Platten seien keine Alternative – die Lauffläche ist meist einfach zu dick. Die schönsten Ergebnisse gebe es mit eher dünnen City- oder Trekkingreifen. Soll der Gürtel hingegen möglichst dehnbar werden, biete ein "relativ billiger Standardreifen mit grobem Innengewebe" die optimale Lösung.

Skurriler Diebstahl

"Hochwertige Mäntel mit feinerem Gewebe sind dafür länger haltbar", sagt Hartweg, den die Liebe zum Fahrrad schon länger beschäftigt. Seit vergangenem Jahr leitet er die Fahrradwerkstatt im Ingolstädter Konradviertel, und nebenbei macht er auch noch andere Dinge aus alten Fahrradteilen, etwa dekorative Kugeln für den Garten.

Dass sie den Geschmack der Kunden auch ohne große Werbung treffen, zeigen die Verkaufszahlen: Bis Jahresende rechnen Hartweg und Schulze mit 150 verkauften Gürteln in Deutschland, Österreich und der Schweiz – ein neuer Rekord für die beiden Unternehmer. Und auch in Italien gibt es die Zaach-Gürtel inzwischen – wenn auch nur wegen eines etwas ungewöhnlichen Vorfalls. In Bassano del Grappa in Norditalien sei ihm einst sein Musterkoffer gestohlen worden, erzählt Schulze, der unter anderem nützliche Dinge aus Klett entwirft. Erst Wochen später habe die Polizei den Koffer wieder gefunden. Schulze lacht. "Und das einzige, das gefehlt hat, das waren die Gürtel von Reiner."