"Regelrechter Arbeitskräftemangel"

03.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:50 Uhr

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht im Interview über den Arbeitsmarkt.

Die Arbeitslosigkeit ist im Dezember zwar gestiegen, liegt aber deutlich unter dem Wert vom Vorjahresmonat. Wird sich das "Jobwunder" 2017 fortsetzen, Herr Fratzscher?

Marcel Fratzscher: Vieles deuá †tet darauf hin, dass sich die gute Arbeitsmarktentwicklung fortsetzen wird - allerdings mit weniger Dynamik. Wir rechnen für 2017 mit rund 100 000 Beschäftigten mehr. Die Wachsá †tumszahlen sind nach wie vor ordentlich. Allerdings wird oft vergessen, dass wir inzwischen einen regelrechten Arbeitskräftemangel haben. Es gibt über eine Million offene Stellen. Viele Unternehmen suchen händeringend nach Beschäftigten. Da geht es um Hoch- genauso wie um Geringqualifizierte.

 

Woran liegt es, dass die offenen Stellen nicht besetzt werden?

Fratzscher: Wir bräuchten einen noch stärkeren Beschäftigungsaufbau, sodass offene Stellen gefüllt werden können. Das wäre eine der Voraussetzungen dafür, dass die Unternehmen wieder stärker investieren. Es geht nicht darum, dass die Mená †schen massenhaft auf der faulen Haut liegen und angebotene Stellen nicht annehmen. Das Problem ist, dass Qualifikationen und Anforderungen der Unternehmen an Bewerber oft nicht zusammenpassen. Wir haben weit über eine Million Langzeitarbeitslose, die Unterstützung brauchen, um überhaupt erst einen Fuß in die Tür zu bekommen. Die Langzeitarbeitslosen sind die Verlierer aller Arbeitsmarktreformen der letzten 15 Jahre.


Und die vielen Flüchtlinge sind auch noch nicht fit für den Arbeitsmarkt, oder?

Fratzscher: Jedenfalls der Großteil von ihnen nicht. Viele Flüchtlinge haben nur sehr geringe Quaá †lifikationen, sprechen unsere Sprache noch nicht gut genug. Es besteht deshalb die Gefahr, dass sie zu Langzeitarbeitslosen werden. Die Flüchtlinge sind sicherlich nicht die Lösung für unser Arbeitskräfteproblem, auch wenn sie die eine oder andere Lücke werden füllen können. Positiv für Deutschland ist die starke Zuwanderung aus dem EU-Ausland. Seit 2010 sind jedes Jahr brutto rund eine Million Menschen aus anderen Ländern Europas gekommen, um bei uns zu arbeiten. Darunter sind viele Junge und viele gut Qualifizierte, die zum Teil höhere Beschäftigungsquoten haben als Einheimische.

 

Was spricht dagegen, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen?

Fratzscher: Es besteht keine Notwendigkeit, hier weitere Ausnahmen zu schaffen. Schon jetzt gibt es die Möglichkeit, Flüchtlingen über Praktika und berufsqualifizierende Maßnahmen einen ersten Schritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen - und das zunächst auch ohne Mindestlohnbezahlung. Unser Aná †spruch sollte sein, die Flüchtlinge so zu qualifizieren, dass sie Jobs zu anständigen Löhnen finden. ‹ŒDK

 

Die Fragen stellte

Rasmus Buchsteiner.

Foto: Naupold/dpa