Ingolstadt
"Das zehrt natürlich an den Nerven"

Bei Audi-Mitarbeitern in Ingolstadt stößt die erneute Razzia im Diesel-Skandal auf wenig Begeisterung

06.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr
Die Audi-Zentrale im Visier der Ermittler: LKA-Beamte und Staatsanwälte gingen gestern unter anderem im Audi-Vorstandsgebäude ein und aus - sie waren auf der Suche nach Beweisen für Manipulationen an Diesel-Fahrzeugen für den europäischen Markt. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Das letzte Mal kamen sie ausschließlich in Zivil - diesmal auch in Uniform. Wer als Mitarbeiter im März vergangenen Jahres noch nichts von der Razzia in der Audi-Zentrale in Ingolstadt mitbekommen hatte, der dürfte gestern mit Sicherheit ziemlich schnell im Bilde gewesen sein: Bis zu fünf große Transporter mit der Aufschrift "Polizei" reihen sich zeitweise entlang der Audi-Piazza. Dazu parken noch diverse Zivilfahrzeuge vor dem Vorstandsgebäude. Bereits zum zweiten Mal findet in den Büroräumen von Audi in Ingolstadt nun eine Durchsuchung im Zuge der Abgas-Affäre statt.

Auch am Standort Neckarsulm rücken die Ermittler an. Insgesamt sind 18 Staatsanwälte und Dutzende LKA-Beamte aus Bayern und Baden-Württemberg im Einsatz.

Hatten die Ermittler beim letzten Mal nicht gründlich genug gesucht? Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München II weist das zurück. Man sei diesmal völlig anderem Material auf der Spur gewesen. Bei der Razzia im vergangenen Jahr sei es ausschließlich um mutmaßlich 80.000 manipulierte Diesel-Autos für den US-Markt gegangen. Inzwischen habe sich der Tatverdacht auf mindestens 210.000 Fahrzeuge erweitert. Die zusätzlichen 130.000 Fahrzeuge waren auf dem europäischen Markt verkauft worden. Genau um jene Modelle mit 3,0-Liter-V6-Diesel-Motor sei es bei der erneuten Durchsuchung hauptsächlich gegangen.

Bei den Audi-Mitarbeitern stößt die erneute Razzia auf wenig Begeisterung. Auf dem Weg in die Cafeteria passieren viele in der Mittagspause die Polizeiwagen. "Schockierend", sei das, sagt eine junge Frau im Vorbeigehen. Sie denkt auch an den Eindruck, den das Bild auf die Besuchergruppen machen muss, die sich hier zu den Führungen durch das Werk einfinden. Die Nachricht von der neuerlichen Razzia habe sich am Vormittag schnell durch die Büros verbreitet, berichtet eine andere Mitarbeiterin. "Wir machen halt weiter. Hilft ja nichts. Was sollen wir auch anderes tun?", fragt sie.

Die meisten Audianer wollen nichts zu der Situation sagen. Auch jene nicht, die das sonnige Wetter nutzen, um direkt neben den Polizeiautos eine Zigarette zu rauchen oder einen Kaffee zu trinken. Einige machen Handyfotos von den Einsatzwagen. Ein Mitarbeiter kommt allerdings von sich aus auf die Journalisten zu, die sich mit Film- und Fotokameras vor dem Gebäude positioniert haben. "Kennt Ihr die Hintergründe?", fragt er. "Wir erfahren hier gar nichts." Dabei sei die Situation mittlerweile "sehr belastend". Die Angelegenheit sei "ständig Thema - unter den Kollegen aber auch daheim in der Familie. Da muss jetzt endlich ein Schlusspunkt gesetzt werden". Es sei deswegen richtig, dass die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft von Audi unterstützt werden. "Es muss jetzt mal vorbei sein und Ruhe einkehren."

"Das zehrt natürlich an den Nerven", sagt ein anderer, und ein Mann mit Kaffeebecher vermutet: "Sie haben offenbar beim letzten Mal noch nicht alles gefunden." Er spielt auf die erste Razzia an.

Die Abgas-Affäre dürfte den Ingolstädter Autobauer noch länger im Griff haben. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft München II erweiterte sich der Kreis der Verdächtigen um einen weiteren Audi-Mitarbeiter auf nun 14. Dessen Wohnung in Baden-Württemberg wurde gestern ebenfalls durchsucht. Laut Auskunft einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft ist der Mitarbeiter aktuell noch für Audi tätig. Im Wesentlichen handele es sich bei den aktuellen Verdächtigen allesamt um Motorenentwickler.

Welche Erkenntnisse die Durchsuchungen der Privatwohnungen von sechs ehemaligen oder aktuell noch für Audi tätigen Mitarbeitern vergangene Woche gebracht haben, ist bislang noch unklar. Mit der gestrigen Razzia dürften sie nicht direkt zusammenhängen - da die Vorbereitungen einer solchen Durchsuchung laut Staatsanwaltschaft "mehrere Wochen" dauern. Vielleicht mag sich der ein oder andere fragen, wieso Mitarbeiter belastendes Material auf einem USB-Stick oder einer Festplatte mit nach Hause nehmen sollten. Zwar scheint es so, als ob auch die Staatsanwaltschaft derartiges nicht für sehr wahrscheinlich hält - aber man will in dieser hochbrisanten Geschichte wohl keinen Fehler machen. Nicht dass man sich am Ende vorwerfen lassen muss, man habe nicht überall gesucht.

Auch in Neckarsulm dürfte die Belegschaft angesichts der Razzia keine Freudentänze veranstaltet haben - dort kämpft man derzeit mit den quasi gleichzeitig startenden Produktanläufen von A 6, A 7 und A 8.

Von Johannes Hauser und Sebastian Oppenheimer

 

CHRONIK DER ABGAS-AFFÄRE

18. September 2015: DieUS-Umweltbehörde EPA teilt mit, dass VW Abgas-Werte manipuliert hat. Wie erst später bekannt wird, gab Volkswagen bereits am 3. September gegenüber den US-Behörden zu, Schummelsoftware in Diesel-Autos installiert zu haben.

23. September: VW-Chef Martin Winterkorn tritt zu- rück. Sein Nachfolger wird Porsche-Chef Matthias Müller.

28. September: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsan- waltschaft ein Ermittlungsver- fahren.

7. Oktober: VW-Finanzvor- stand Hans Dieter Pötsch wird Aufsichtsratsvorsitzender.

15. Oktober: Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet den Pflichtrückruf aller VW-Diesel-Autos mit Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

25. November : "Jetzt geht es um die Wahrheit, und ich werde nicht ruhen, bis alles auf dem Tisch ist", sagt Audi-Chef Rupert Stadler im Interview mit unserer Zeitung.

3. Dezember: Entwicklungschef Ulrich Hackenberg verlässt Audi - Stefan Knirsch wird sein Nachfolger. Er gerät dann im September ins Visier der Ermittler, weil er frühzeitig von den Manipulationen gewusst haben soll.

22. April 2016: VW meldet für 2015 einen Rekordverlust von knapp 1,6 Milliarden Euro. Grund sind Rückstellungen von 16,2 Milliarden Euro für Rechtsstreitigkeiten und Mängelbeseitigung.

20. Juni: Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Winterkorn und ein weiteres früheres Vorstandsmitglied wegen Anfangsverdachts auf Marktmanipulati- on. Wie später bekannt wird, handelt es sich um VW-Markenchef Herbert Diess.

28. Juni: Ein Vergleich taxiert die Kosten, die wegen des Skandals in den USA auf den VW-Konzern zukommen, auf voraussichtlich bis zu 14,7 Milliarden Dollar.

Februar 2017: Der Ex-Chefentwickler von Dieselmotoren, Ulrich Weiß, belastet Audi-Chef Rupert Stadler schwer. Er behauptet, Stadler habe spätestens ab 2012 vom Einbau der Betrugssoftware gewusst.

15. März 2017: Am Tag der Bilanzpressekonferenz findet im Vorstandsgebäude der Audi-Zentrale in Ingolstadt eine Razzia statt. Auch am Standort Neckarsulm gibt es Durchsuchungen im Zuge der Ermittlungen zur Abgas-Affäre.

31. Januar 2018: In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz durchsuchen Ermittler die Wohnungen von sechs ehemaligen oder noch aktuell für Audi tätigen Mitarbeitern. | DK/dpa/AFP

Kommentar von DK-Redakteur Sebastian Oppenheimer

Schon wieder eine Razzia bei Audi. Schon wieder rückt der Ingolstädter Autobauer ins Rampenlicht der Abgas-Affäre. Die Staatsanwaltschaft lässt mit ihren Ermittlungen nicht locker. Die Zahl der Verdächtigen steigt auf nun 14. Im vergangenen März hatten die Beamten nach Beweisen für Betrügereien in den USA gesucht – diesmal habe man explizit nach Unterlagen bezüglich manipulierter Diesel-Motoren in Europa Ausschau gehalten, lässt die Behörde verkünden. Audi versichert, man kooperiere vollumfänglich – wie immer. Aber was heißt das eigentlich genau? Wer bei der Staatsanwaltschaft zwischen den Zeilen liest, kann heraushören, dass sich die Marke mit den vier Ringen zwar nicht gegen die Ermittlungen sperrt – aber so offenherzig, wie man es der Presse gerne vermittelt, ist der Autobauer dann wohl doch nicht. Möglicherweise ist es vor allem diese halbherzige Haltung, die die Staatsanwaltschaft immer wieder anspornt. Es scheint, als ziehe diese nun die Daumenschrauben an.

Nach Kooperation sieht das Verhältnis zwischen den Ermittlern und Audi jedenfalls nicht aus. Und daran ist der Konzern nicht ganz unschuldig. Man kann es nicht oft genug schreiben: Hätte VW den tatsächlichen Willen zur Aufklärung des Diesel-Skandals gehabt, hätte man den Bericht der intern im Konzern ermittelnden US-Kanzlei Jones-Day ja einfach wie versprochen veröffentlichen können. Doch scheinbar bergen die Dokumente soviel Brisantes, dass man den Inhalt lieber nicht ans Licht kommen lassen wollte. Wie sonst lässt sich erklären, dass sich der VW-Konzern mit allen Kräften – inklusive einer Verfassungsbeschwerde – gegen die Verwendung der bei Jones-Day beschlagnahmten Unterlagen sperrt? Die Geschichte, dass die wohl zu Hunderttausenden manipulierten Diesel-Motoren das Werk einiger weniger unbedeutender Ingenieure waren und die Chefetage nichts davon wusste, ist schwer zu glauben. Und das sehen scheinbar auch die Ermittler so. Dass die Staatsanwälte nun Monate später um zweiten Mal anrücken, mag etwas seltsam aussehen. Doch es zeigt den Willen der Ermittler, Licht in die Sache zu bringen. Das zähe Ringen um Aufklärung scheint jedenfalls noch lange nicht vorbei.