Berlin
Zeit für Entlastung der Steuerzahler

Sachverständige sehen aber nur begrenzte finanzielle Spielräume für künftige Bundesregierung

08.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

Berlin (DK) Die Wirtschaft läuft sehr gut. Zeit, auch einmal die Steuerzahler und Arbeitnehmer zu entlasten - beim Soli und bei den Sozialabgaben. Aber bitte nicht zu viel versprechen, raten die "Wirtschaftsweisen" in ihrem Jahresgurtachten den "Jamaikanern".

Eine künftige "Jamaika"-Koalition hat nach Einschätzung der "Wirtschaftsweisen" deutlich geringere finanzielle Spielräume zur Einlösung ihrer Wahlversprechen als erhofft. "Wir sind sehr vorsichtig und zurückhaltend", sagte der Chef des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christoph Schmidt, gestern bei der Vorstellung des Jahresgutachtens zu den Finanzspielräumen. Entsprechend warnte er vor einer Ausweitung von Sozialleistungen, etwa bei der "Mütterrente".

Eine besondere Herausforderung werde für die Politik sein, die Digitalisierung und damit den Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft zu begleiten. Dazu seien Investitionen in Bildung und Weiterbildung notwendig, eine innovationsfreundliche Regulierung sowie eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Beim Klimaschutz und bei der Energiewende bedürfe es eines besseren marktwirtschaftlichen Ansatzes, so die Experten.

Der Gesamtstaat - Bund, Länder und Gemeinden - dürfte im laufenden Jahr zwar mit 31,3 Milliarden Euro den höchsten Überschuss seit der Wiedervereinigung erzielen. Die tatsächlichen Spielräume für die Politiker auf Bundesebene seien aber wesentlich geringer. Zumal die gute Finanzlage nicht von Dauer sein dürfte, da vor allem steigende Zinsen die öffentlichen Haushalte absehbar stärker belasten könnten, meinen die Gutachter.

Die "Weisen" korrigierten ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland im laufenden und im kommenden Jahr deutlich nach oben. Sie erwarten jetzt für das laufende Jahr ein Wachstum von 2,0 Prozent. Im Frühjahr hatten sie noch 1,4 Prozent vorhergesagt. Für 2018 hoben sie ihre Prognose von 1,6 Prozent auf 2,2 Prozent an. Die Ökonomen warnen angesichts dieser Entwicklung aber bereits vor einer Überhitzung der Konjunktur. Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einer Überauslastung, hieß es.

Bei aller Vorsicht seien aber durchaus auch Entlastungen drin, argumentierte der Rat. Es wäre etwa vernünftig, wenn die Steuerzahler bei der "kalten Progression" weiter entlastet würden und man den Soli-Steuerzuschlag schrittweise abbaut. Der Sachverständige Peter Bofinger plädierte im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion dafür, den Solidaritätszuschlag in den Steuertarif zu integrieren. "Das würde die Steuerzahler um etwa zehn Milliarden Euro entlasten und vor allem mehr Netto für die unteren Einkommen bringen."

Mit der kalten Progression kassiert der Staat dank steigender Preise mehr Steuern. Lohnzuwächse werden so aufgefressen. "Insgesamt lässt sich eine Entlastung von gut 30 Milliarden Euro dadurch begründen, ohne dass im Gegenzug der Spitzensteuersatz angehoben werden müsste", heißt es dazu im Gutachten.

Zugleich warnen die Experten vor einer Erhöhung der Sozialleistungen - und nennen unter anderem die von der CSU geforderte Ausweitung der Mütterrente, die sieben Milliarden Euro ausmachen würde. Im Gegenteil plädieren sie für die Senkung von Sozialabgaben, etwa der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von heute drei auf 2,5 Prozent. Und "verfehlt wäre es, wenn die Diskussionen um die Kinderarmut zu einer übermäßigen Erhöhung des Kinderfreibetrages führen würden", argumentieren die Wirtschaftswissenschaftler.

Bofinger sprach sich ferner für eine Erhöhung des Mindestlohns aus: "Die wirtschaftliche Entwicklung ist dermaßen positiv, da sollte man über einen Nachschlag nachdenken". Die aktuelle gültigen 8,50 Euro seien "ja nicht in Stein gemeißelt".

Bei der Übergabe des Jahresgutachtens an die Bundesregierung sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ein künftiges "Jamaika"-Bündnis müsse eine Balance finden zwischen Strukturreformen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung und Entlastungen der Bürger. Angesichts der guten konjunkturellen Lage sei der Wunsch nach Verteilung "sehr dominant".

Um das Arbeitskräftepotenzial in einer älter werdenden Gesellschaft besser auszuschöpfen, sei vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nötig, damit mehr Frauen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen könnten, schreiben die "Weisen". Das bedeute auch eine Ausweitung der Kinderbetreuung.

"Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Steigerung des Arbeitskräftepotenzials ist die Zuwanderung." Die Expertenplädieren für ein Einwanderungsrecht, das deutlich zwischen Asylsuchenden und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt unterscheide.