Berlin
Verwirrung um Fahrverbote

Berlin und Stuttgart uneinig über Rechtslage Vielleicht schafft nun ein Verwaltungsgericht Klarheit

17.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:46 Uhr

Berlin/Stuttgart (DK) Neue Zuspitzung im Streit über ein mögliches Diesel-Fahrverbot in Stuttgart: Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wirft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Blockadetaktik vor. Ein Gerichtsverfahren morgen könnte dabei wegweisend sein.

"Für bessere Luft in Stuttgart brauchen wir unbedingt die blaue Plakette, um im Interesse der Gesundheit von Anwohnerinnen und Anwohnern die Grenzwerte für Stickstoffdioxid in der Luft einzuhalten. Diese Möglichkeit hat der Bundesverkehrsminister bisher abgelehnt und stattdessen für Tage mit hohen Schadstoffwerten streckenbezogene Verkehrsbeschränkungen empfohlen", erklärte Hermann gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. "Aber genau diese Maßnahme mit temporären Verkehrsbeschränkungen auf den wichtigsten Zufahrtsstraßen an Tagen mit hoher Luftbelastung hat nun das Bundesverkehrsministerium gegenüber dem Land als rechtlich nicht zulässig bezeichnet."

Fakt ist: Zwischen beiden Ministerien in Berlin und Stuttgart hat es Gespräche gegeben. Und danach gehen die Interpretationen weit auseinander. Das Bundesverkehrsministerium erklärte gestern, die eigene Position sei unverändert. Auf Basis der gültigen Rechtslage seien temporäre Fahrverbote zwar zulässig, aber man halte sie politisch für einen falschen Ansatz. In Stuttgart hat man das anders verstanden: Hermanns Beamte gehen inzwischen davon aus, dass es keine Rechtsgrundlage für Fahrverbote gebe, weil dadurch eine neue Umweltzone geschaffen werde.

Daher hat Baden-Württemberg auch seine Haltung verändert. In dem aufsehenerregenden Verfahren, das von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) angestrengt worden ist und morgen vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart startet, will sich die Landesregierung nun allein auf das Argument stützen, dass sich die Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub allein mit Nachrüstungen einhalten lassen. Die DUH will erreichen, dass die Jahresgrenzwerte für die Emission von Stickstoffdioxid schnellstmöglich eingehalten werden.

Nachrüstung - das ist in den Verhandlungen hinter den Kulissen gerade das große Thema. Die Bundesregierung bereitet für den 2. August einen "Diesel-Gipfel" unter anderem mit Ländern und Autoindustrie vor. Das Ziel: eine möglichst weit gehende Vereinbarung zur Umrüstung von Diesel-Fahrzeugen, um Fahrverbote zu verhindern. Die Kosten für die Umrüstung sollen die Autokonzerne übernehmen. Eine entsprechende Vereinbarung hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) bereits mit BMW und Audi getroffen. Das Problem: Dem Vernehmen nach kann nur etwa die Hälfte des Euro-5-Fahrzeugbestands umgerüstet werden. Und allein mit Software-Updates seien die Grenzwerte nicht einzuhalten, so ein Insider. Daher ist auch eine Abwrackprämie für Euro-3- und Euro-4-Diesel im Gespräch.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann warf dem Bund gestern vor, wirksame Instrumente für den Fall zu verweigern, "dass eine mögliche Diesel-Nachrüstung nicht zu einer effektiven und raschen Senkung der Emissionen führen sollte". Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte, die Regierung des Freistaats arbeite derzeit an einem umfangreichen Maßnahmenpaket, mit dem die Schadstoffgrenzwerte eingehalten und zugleich ein generelles Fahrverbot verhindert werden könne.

Die Kommunen warnen unterdessen vor Beschränkungen. "In den Innenstädten spielt sich das kommunale Leben ab. Die Zufahrt zu beschränken verhindert nicht nur die reinen Privatfahrten; vielmehr sind auch der Lieferverkehr, Behörden- und Einsatzfahrzeuge betroffen", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. "Verbote und neue Plaketten münden in einem undurchsichtigen Schilderwald und führen zu Verwirrung und mehr Bürokratie statt zu einem nachhaltigen und umweltschonenden Mobilitätskonzept."