Für
Sand im Getriebe

26.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:52 Uhr
Wolken über Audi −Foto: Eberl/Hauser

Für Audi-Chef Rupert Stadler läuft es alles andere als rund. Erst gab es Rüffel aus der VW-Konzernzentrale wegen seiner Dobrindt-Schelte. Der Betriebsrat kritisiert, dass die E-Fahrzeuge nicht in Deutschland gebaut werden. Und die Konkurrenz zieht davon.

Es ist schon seltsam: Vor wenigen Wochen wurde der Vertrag von Rupert Stadler als Audi-Chef verlängert. Und zwar nicht um zwei oder drei Jahre, sondern um die üblichen fünf Jahre. Eigentlich ein Vertrauensbeweis. Und eigentlich sollte man glauben, dass sich die Audi-Aufseher vor diesem Schritt noch einmal versichert haben, ob beim Ingolstädter Autobauer nicht noch mehr im Argen liegt, was wieder für negative Schlagzeilen sorgen könnte. Inzwischen stellt sich die Frage, ob diese Verlängerung Stadler tatsächlich noch länger im Amt halten wird.

Denn es dauerte gerade einmal gut zwei Wochen, da trat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vor die Journalisten und verkündete, dass Audi in rund 24 000 Oberklasse-Modellen A7 und A8 eine unzulässige Abgas-Software nutze. Merkwürdig, dass das erst nach der Vertragsverlängerung publik wird, mag sich da der eine oder andere gedacht haben. Audi-Chef Rupert Stadler war jedenfalls stinksauer - allerdings nicht wegen der erneut aufgeflogenen vermeintlichen Betrugssoftware. Der Herr der Ringe war wütend, weil Dobrindt, offenbar ohne sich mit ihm abzusprechen, die Entdeckung verkündet hatte. Nun sah es so aus, als wäre das Kraftfahrtbundesamt beziehungsweise das Verkehrsministerium dem Autobauer auf die Schliche gekommen. Dabei - und darauf legt Stadler großen Wert - hatte man die umstrittene Software (Audi bestreitet, dass es sich Betrug handelt) offenbar im Zuge eigener Untersuchungen entdeckt.

Der aus seiner Sicht bloßgestellte Audi-Chef wandte sich daraufhin in einer Videobotschaft im Firmen-Intranet an die Mitarbeiter: Es handele sich bei den "Auffälligkeiten" nicht um ein "Defeat Device", erklärte er. Das Vorpreschen Dobrindts sei womöglich eher als "Wahlkampf" zu deuten. Eine öffentliche Schelte für den Verkehrsminister? "Wer zu so einem Mittel greift, dem steht das Wasser bis zu Hals", mutmaßt ein Audi-Manager im Gespräch mit unserer Zeitung. Rückendeckung bekam Stadler vom Betriebsrat. "Das Vorgehen von Minister Dobrindt ist höchst irritierend und lässt eher auf aktiven Wahlkampf schließen als auf ministeriale Sachlichkeit. Die Belegschaft ist enttäuscht und unzufrieden über die Kommunikationsstrategie des Unternehmens", heißt es am nächsten Tag aus dem Büro des Gesamtbetriebsratschefs Peter Mosch. Die rasche Solidaritätsbekundung für den Audi-Chef irritiert so manchen Angestellten. "Da ist keine Distanz mehr vorhanden zwischen Unternehmen und Betriebsrat", sagt ein altgedienter Gewerkschafter im Audi-Overall beim Schichtwechsel.

In der VW-Konzernzentrale war man dagegen von der Attacke aus Ingolstadt gegen Berlin wenig begeistert: Herr Stadler sei "etwas übers Ziel hinausgeschossen", ließ man in Wolfsburg über einen Sprecher verkünden. Und auch der VW-Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh tat seinen Unmut kund: Der Angriff des Audi-Chefs sei "sicherlich keine zielführende Idee" gewesen. So deutliche Kritik an einem Manager aus eigenen Reihen in so hoher Position - auch das ist alles andere als alltäglich.

Dass an Stadlers Stuhl kräftig gesägt wird, zeigte sich am Wochenende: In der "Bild am Sonntag" tauchte ein Bericht über ein "Dossier" auf, das offenbar in der VW-Zentrale kursiert. Erstellt haben es angeblich Audi-Manager. Darin werden die Vorstände des Ingolstädter Autobauers bewertet - und kommen dabei alles andere als gut weg. Von "intellektuell schnell überfordert", war da die Rede, ein anderer sei "intrigant und neidisch", einem dritten attestierte man: "Typus Zigarre, Rotwein, goldene Rolex."

VW-Chefsprecher Hans-Gerd Bode erklärte auf Anfrage unserer Zeitung, dass man dieses "Dossier" nicht kenne und dass das Papier auch nicht in Wolfsburger Führungsetagen kursiere, wie in dem Bericht behauptet wird. Vom Inhalt distanziere man sich. In der Beziehung zwischen Wolfsburg und Ingolstadt sei "alles im Lot". "Es gibt eine enge, intensive und direkte Zusammenarbeit zwischen Audi und Volkswagen", sagte Bode.

Nach Informationen unserer Zeitung soll es um das Verhältnis Stadlers zu VW-Chef und Audi-Aufsichtsratschef Mathias Müller allerdings in der Tat nicht zum Besten stehen. "Müller ist über die interne Informationspolitik Audis nicht begeistert. Deshalb hat er Stadler auch nicht über seinen Besuch bei Dobrindt informiert", heißt es aus Konzernkreisen.

Nun rumort es auch noch in der Belegschaft zunehmend. Vergangene Woche sorgte die Botschaft für miese Stimmung, dass auch das zweite Elektromodell, der e-tron Sportback, am Audi-Standort in Brüssel gebaut wird - und eben nicht in den Heimatwerken in Ingolstadt oder Neckarsulm. Im Intranet kochten die Emotionen über die Vergabe dieser Zukunftstechnologien offensichtlich derart hoch, dass sich Mosch zu Wort meldete. Er sprach von "Zukunftsängsten und Unmut an den Heimatstandorten". Zwar sei die Entscheidung aus logistischen Gründen verständlich, dennoch müsse die Auslastung der deutschen Standorte auch in Zukunft sicher sein. Da nehme man den Vorstand in die Pflicht.

Kein Geheimnis ist auch, dass die Konkurrenz bei den Verkaufszahlen derzeit davonfährt. Während die Marke Mercedes in den ersten fünf Monaten dieses Jahres rund 935 000 Fahrzeuge absetzen konnte und damit BMW (ohne Mini) mit 845 000 verkauften Autos hinter sich ließ, findet sich Audi mit 738 000 verkauften Fahrzeugen abgeschlagen auf Rang drei wieder.

Die schlechten Verkaufszahlen von Audi, die bis einschließlich Mai knapp sechs Prozent unter Vorjahresniveau lagen, lassen sich größtenteils auf den massiven Einbruch im chinesischen Markt zurückführen. Dort gab es monatelang Ärger mit den chinesischen Händlern, weil sich der Ingolstädter Autobauer derzeit einen zweiten Joint-Venture-Partner an Land zieht. Inzwischen behauptet Audi, das Problem gelöst zu haben - aber ob man die Verluste bis Jahresende wieder aufholen kann?

Dass die anderen derzeit so weit vorne liegen, hat aber auch andere Gründe. Zwar fuhr man jahrelang mit der Strategie als "schneller Verfolger" auf der Überholspur, doch am Ende kam der fehlende Mut zu Neuem als Bumerang zurück. Der "Vorsprung durch Technik" wird von vielen schmerzlich vermisst. Für viele Beobachter zu spät hatte Stadler den Designchef ausgetauscht. Das erste Auto, das vom neuen Designchef Marc Lichte gestaltet wurde, ist der A8, der in wenigen Wochen präsentiert wird. Viele Produkte kamen zu spät, monieren die Kritiker. Bei dem Verschleiß an Entwicklungsvorständen ab 2007 kein Wunder: Dick, Dürheimer, Hackenberg, Knirsch und nun Mertens.

Die vorerst letzte Personalie kommt dafür in der Belegschaft gut an. Ex-Volvo-Mann Peter Mertens gibt den hemdsärmligen Tüftler und Techniker. Als Erstes hat er die Meetings zusammengestrichen und die Krawatte abgelegt. Seinen Doktortitel trägt er nur im Pass. Bei der Mannschaft kommt das an. "Es ist noch zu früh für ein Urteil, aber der erste Eindruck ist sehr gut", sagt ein Audianer.

Doch wie geht es nun an der Spitze weiter? Insider rechnen nicht mit einem raschen Abschied Stadlers. "Vor September passiert nichts", sagt ein Kenner des Konzerns. Neben dem Vorstandsvorsitzenden stehen auch fast alle Vorstände im Feuer, glaubt man Medienberichten. "Der Druck steigt, aber die Zeit für einen Wechsel ist noch nicht reif", sagt ein Manager.

Im Konzern hält sich seit Langem eine Wette: Stadler könnte den Job von Jochem Heizmann als China-Vorstand im Konzern übernehmen. "Der beste Mann im Konzern würde dann den schwierigsten Markt übernehmen", lautet die Erklärung. In Zeiten wie diesen ist im VW-Konzern nichts mehr auszuschließen.