Audi
Die verhagelte Bilanz

15.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:29 Uhr
Audi-Chef Rupert Stadler −Foto: Stache/AFP

Audi will der Presse die Zahlen des vergangenen Jahres präsentieren - gleichzeitig durchsuchen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft München das Vorstandsgebäude. Die Zahlen interessieren an diesem Tag kaum noch einen Medienvertreter.

So hatten sie sich das ganz bestimmt nicht vorgestellt bei Audi. Eigentlich wollten die Vorstände des Ingolstädter Autobauers gestern auf der jährlichen Bilanz-Pressekonferenz zumindest etwas Zuversicht in diesen so schwierigen Zeiten für die Marke mit den vier Ringen verbreiten. Schließlich brennt es derzeit an vielen Ecken: Dieselgate, Rückrufaktionen und zuletzt auch noch der Streit mit den chinesischen Händlern, der im Januar die Verkaufszahlen im Reich der Mitte um 35 Prozent einbrechen ließ. Doch dann das: Um sieben Uhr morgens rauschen gut 20 Fahrzeuge der Staatsanwaltschaft München II über die Audi-Piazza, parken direkt vor dem Vorstandsgebäude A50 und beginnen mit einer Durchsuchungsaktion. Es geht - natürlich - um die Diesel-Affäre (Die Details lesen Sie unten).

Eine Razzia, wenn gut 100 Journalisten aus aller Welt zu Gast sind? Kann das Zufall sein? Jedenfalls eine ziemlich unglückliche Konstellation. Das dürfte man sicherlich auch gleich in der Chefetage erkannt haben. Dass es da haufenweise unangenehme Fragen hagelt, ist naheliegend.

Dementsprechend ist auch die Stimmung bei den Vorständen, als die schließlich um Punkt 9.45 Uhr das Audi-Museum mobile betreten, in dem heuer erstmals seit vielen Jahren die Jahrespressekonferenz stattfindet. In den Jahren zuvor waren mehr als doppelt so viele Journalisten geladen - und die Veranstaltung hatte in der Auslieferungshalle stattgefunden. Im Zuge der Dieselkrise hatte man sich aber offenbar entschieden, die Veranstaltung ein paar Nummern kleiner zu fahren.

Als sich die Vorstandsmitglieder für das traditionelle Gruppenfoto vor einem orange-gelben SQ5 aufstellen, fällt den meisten das Lächeln sichtlich schwer. Diesmal ist ein für viele unbekanntes Gesicht unter ihnen: Es handelt sich um Horst Glaser, der seit dem Abgang von Stefan Knirsch die Entwicklungsabteilung leitet. Den Interimschef muss Glaser aber nur noch bis 1. Mai geben, wie gestern bekannt wurde - dann tritt nach Aussage von Audi-Chef Rupert Stadler der neue Entwicklungsvorstand Peter Mertens seinen Dienst an, der zuvor für den schwedischen Autobauer Volvo arbeitete.

Pünktlich um 10 Uhr tritt Rupert Stadler ans Mikrofon und versucht zunächst einmal, das Thema Razzia beiseitezuschieben. "Trotz der Tagesaktualität, würde ich mir wünschen, dass wir uns auf das vergangene Geschäftsjahr konzentrieren", sagt er, obwohl er im Inneren sicherlich weiß, dass die entsprechenden Fragen später kommen werden. Natürlich ist die Nachricht von der Durchsuchungsaktion inzwischen längst bei allen Journalisten durchgesickert.

Nun wird es etwas skurril, denn Stadler zieht das geplante Programm durch - allerdings bleibt ihm auch kaum viel anderes übrig: Erst berichtet er zur allgemeinen Lage, dann erläutert Finanzchef Axel Strotbek die Zahlen, dann ist erneut Stadler an der Reihe. "Der Weg des Aufarbeitens ist noch lange nicht abgeschlossen", sagt der Audi-Chef. "Wir Audianer treten mit aller Entschlossenheit dafür ein, dass so etwas wie die Diesel-Affäre bei uns nie wieder passiert." Ohne die Razzia wäre wohl deutlich mehr Journalisten aufgefallen, dass Stadler nicht mehr - wie bislang - von der Diesel-Thematik, sondern von einer Diesel-Affäre spricht. Doch viele Pressevertreter hören nur mit einem Ohr zu, weil sie versuchen, per Smartphone oder Laptop mehr zur parallel laufenden Razzia zu erfahren.

Gegen Ende wird ein Film-Einspieler mit den Audi-Höhepunkten vom Genfer Autosalon gezeigt - inklusive Statements der Chefetage zu den neuen Modellen. Das Ganze untermalt von treibenden Rhythmen. Die Stimmung während des Beitrags ist allerdings seltsam, weil jeder weiß, dass, während der PR-Jubel-Streifen läuft, gerade die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft nur etwas mehr als 100 Meter Luftlinie entfernt zugange sind. Die Vorstände sitzen derweil recht blass in der ersten Reihe.

Als die Fragerunde beginnt, bombardieren die Journalisten Stadler und seine Kollegen mit Fragen zur Razzia. Er sagt dazu nicht viel. Und immer wieder das Gleiche: "Wir kooperieren vollumfänglich mit den Behörden." Doch die Pressevertreter haken immer wieder nach. Stadler wirkt leicht genervt. "Schauen Sie, die Sachlage wird durch mehrmaliges Wiederholen auch nicht besser", sagt der Unternehmenschef schließlich. "Ein bisserl Verständnis müssen Sie dafür haben, auch wenn es tagesaktuell ist." Dann will ein Journalist wissen, ob es auch bei ihm zu Hause eine Durchsuchung gab. Stadler schaut auf die Uhr: "Jetzt ist 11.30 Uhr und ich habe noch keinen Besuch gesehen. Ich bin ja auch seit heute morgen um 7.30 Uhr hier in der Arbeit." Personalvorstand Thomas Sigi versucht es mit Humor: "Deine Frau hat noch nicht angerufen", fragt er auf der Bühne an Stadler gewandt. "Meine Frau hat noch nicht angerufen", antwortet Stadler. So richtig zündet der Witz allerdings nicht.

Nach der Pressekonferenz postieren sich zwei Kamerateams und mehrere Fotografen vor dem Vorstandsgebäude. Direkt davor parkt immer noch mehr als ein Dutzend Fahrzeuge mit Münchner Kennzeichen, die offensichtlich den Behörden zuzuordnen sind: BMWs, Mercedes und Skodas. In fast jedem Auto liegt eine Polizeikelle oder ein Blaulicht. Die Journalisten hoffen auf Aufnahmen, auf denen Kartons mit Akten aus dem Gebäude getragen werden.

Die Audi-Mitarbeiter scheint das alles nicht zu beunruhigen. Sie gehen in die Kantine. Die meisten kommen mit einem Coffee-to-go wieder heraus, genießen ihre Pause. Gelegentlich bleibt einer stehen und beäugt die Presseleute. Ein Besucher einer Audi-Führung wundert sich über die vielen Kameras: "Komme ich jetzt im Fernsehen" Drinnen im Vorstandsgebäude wischt eine Putzfrau den Staub vom Fensterrahmen.