Berlin
"Ich kann die Wut und Verzweiflung verstehen"

13.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr

Berlin (DK) Markus Wahl, Vorstandsmitglied der Pilotenvereinigung Cockpit, spricht im Interview über die vielen Krankmeldungen bei Air Berlin. Diese hatten zu Flugausfällen geführt.

Herr Wahl, auch gestern hat es wieder Flugausfälle bei Air Berlin gegeben. Am Dienstag hatten sich 150 Piloten krankgemeldet. Vorher soll es Absprachen dazu gegeben haben. Ist das nicht extrem unsolidarisch gegenüber Kollegen und Kunden?

Wahl: Gestern hat es bei Air Berlin wieder eine absolut übliche Krankheitsquote von rund zehn Prozent gegeben. Wir haben nicht zu den Krankmeldungen am Dienstag aufgerufen. Aber wenn die Kollegen jeden Tag etwas Neues über ihre Zukunft in der Zeitung lesen und vom Management das Signal kommt, dass ihm das Schicksal der Belegschaft relativ egal ist und die Interessen der Investoren absolut vorgehen, kann ich Wut und Verzweiflung verstehen.

 

Mindestens fünf Millionen Euro Schaden soll entstanden sein. Wird der Flugbetrieb bei Air Berlin ab heute wieder normal laufen?

Wahl: Alle Zahlen, die wir vorliegen haben, deuten darauf hin. Ich rechne damit, dass ab heute der Flugplan bei Air Berlin wieder voll eingehalten wird.

 

War das Scheitern der Sozialplan-Verhandlungen der Grund für den Quasi-Streik?

Wahl: Der Zusammenhang liegt nahe. Die Verhandlungen sind am Montag ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Jetzt hören wir vom Air-Berlin-Management, dass in der kommenden Woche nun doch über den Sozialplan weiter verhandelt werden soll. Das ist zumindest eine erfreuliche Nachricht.

 

Was sind für Cockpit rote Linien in den Verhandlungen über den Sozialplan?

Wahl: Wir sprechen mit Air Berlin darüber, in welcher Reihenfolge die Piloten an mögliche Käufer abgegeben werden sollen. Da gibt es eine Menge zu beachten: zum einen, welche Flugzeuge sie fliegen, zum anderen die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit oder soziale Faktoren. Aus unserer Sicht darf Air Berlin nicht zulassen, dass sich die Piloten wieder neu bewerben müssen. In diesem Fall könnten sich die künftigen Arbeitgeber nämlich die Kollegen aussuchen, die sie nicht für Querulanten oder überbezahlt halten.

 

Morgen endet die Bieterfrist. Welche Lösung wünschen die Beschäftigten?

Wahl: Der oberste Wunsch ist, dass deutsche Arbeitsplätze vernünftig bezahlt bleiben. Air Berlin ist nicht daran gescheitert, dass die Piloten zu teuer gewesen wären. Wenn der Staat mit Steuergeld in die Bresche springt, müssen die Jobs unter deutschem Dach bleiben. Alles andere muss am Verhandlungstisch geklärt werden.

 

Sind Sie eher für eine Aufspaltung oder für einen Verkauf des gesamten Unternehmens?

Wahl: Für beides gibt es gute Argumente dafür und dagegen. Aber die Entscheidung wird weit außerhalb unseres Einflussbereichs fallen.

 

Ist ein Aus für Air Berlin nach den Flugausfällen dieser Woche nicht noch wahrscheinlicher geworden?

Wahl: Man sollte die Kirche mal im Dorf lassen. Ja, es hat Krankmeldungen oberhalb des Normalmaßes gegeben. Nein, allein deshalb muss eine Airline in Insolvenz nicht gleich am Boden bleiben. Ich sehe im Augenblick nicht die Gefahr, dass es zu einem Grounding kommt. ‹ŒDK

 

Das Interview führte

Rasmus Buchsteiner.