Interview, Marc Friedrich - Brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen?

18.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) klingt heute nach Utopie. Für die Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik sowie DM-Gründer Götz Werner führt daran kein Weg vorbei. Marc Friedrich im Interview.

Herr Friedrich, in Ihrem Buch "Sonst knallt?s!" behandeln Sie hauptsächlich das Thema bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Warum brauchen wir ein BGE?

Friedrich: Weil die "Industrie 4.0" unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt komplett auf den Kopf stellt und für viele Menschen zu kaum vorstellbaren Veränderungen führen wird. Sehr viele Menschen werden in Zukunft ihre Arbeit verlieren. Selbstredend werden auch neue Jobs entstehen, aber zumeist nicht für die Personen, welche ihre Arbeit verloren haben. Die UN, der IWF und das WEF gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren 40 bis 75 Prozent der Arbeitsplätze obsolet werden. Bei unserer Recherche haben wir Firmen ausfindig gemacht, die ihre Fabriken von 12.000 Mitarbeitern auf unter 900 reduziert haben.

Was machen wir mit den Millionen Menschen ohne Arbeit? Das würde das Sozialsystem eines jeden Landes sprengen. Entweder wir implementieren das BGE oder es wird soziale Unruhen oder sogar Bürgerkrieg geben. Wir müssen komplett neu denken! Wir brauchen wieder Politiker anstelle von Berufspolitikern und Parteien, die nicht in Schubladen denken und ihren jeweiligen Ideologien verhaftet sind. Sondern die im Sinne der Menschen und des Landes agieren. Wir müssen die Wirtschaft wieder menschlicher gestalten und mit Sinn füllen, ansonsten fahren wir komplett gegen die Wand. Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen.

Der wahrscheinlich erste Einwand von Gegnern wird sein: Das ist nicht finanzierbar. Was sagen Sie dazu? Können Sie vielleicht auch Zahlen nennen?

Friedrich: Nur langsam und zäh setzt sich leider die - an sich nicht schwer zu erlangende - Einsicht durch, dass ein BGE natürlich keine zusätzliche "soziale Wohltat" wäre. Denn selbstredend würde es die vorhandenen Einkommen nicht ergänzen, sondern lediglich zum Teil ersetzen.

De facto haben ja nicht nur die 43,5 Millionen abhängig Beschäftigten, die 4,3 Millionen Selbstständigen (einschließlich mithelfende Familienangehörige) und die rund 20 Millionen Rentner in Deutschland ein Einkommen. Auch die übrigen knapp 15 Millionen Bürger leben nicht von Luft und Liebe. Sie beziehen ihr Einkommen entweder aus verschiedenen staatlichen Transferleistungen oder aus familiären Quellen.

Der Punkt ist: Auf diese Einkommen haben sie entweder nur einen sachlich oder einen zeitlich begrenzten Anspruch - oder eben auch gar keinen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen schafft damit im Kern lediglich den Missstand ab, dass das Existenzminimum sowie eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe für etwa jeden fünften Einwohner der Bundesrepublik nicht bedingungslos garantiert sind. Für alle übrigen Bürger ändert sich unterm Strich wenig: Ihr Nettoeinkommen bleibt gleich. Nur dass mit BGE dann einen Teil desselben die Allgemeinheit finanziert.

Bei vielen Spitzenverdienern würde der jährliche Abzug von 12.000 oder auch 18.000 Euro Grundeinkommen wenig bis gar nicht ins Gewicht fallen. Viel interessanter ist, was nach Einführung eines BGE mit den kleineren Arbeitseinkommen passiert. Mehr als eine Million Berufstätige beziehen gegenwärtig Leistungen nach Hartz IV. Die sogenannten Aufstocker, verdienen damit aber weniger, als sie auch so vom Amt bekämen. Und fast jeder fünfte Aufstocker arbeitet sogar Vollzeit. Im Grunde ist das staatlich geförderte Lohndrückerei. Mit BGE wäre damit sofort Schluss.

Abgesehen davon: Mit BGE wird es viel weniger Sozialabgaben geben. Tatsächlich aufgebracht werden muss das Geld zur Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens - nach Abzug zumindest von Teilen der heute gezahlten Sozialtransfers - nur für jene, deren Einkommen unterhalb des fraglichen Betrags liegt. Wenn man von einem Grundeinkommen von zunächst 800 Euro ausgeht, dann kommt man auf eine "Finanzierungslücke" von etwa 70 Milliarden Euro.

Zur Finanzierung schlagen wir vor, eine Steuerreform einzuführen (Alle Steuern abschaffen bis auf die Konsumsteuer) und durch die Einsparungen der Sozialleistungen (Hartz 4, ALG, Kindergeld, Wohngeld etc.) und den Abbau der Bürokratie.

Landen 1.000 Euro im Monat mehr auf dem Konto, könnte doch der Vermieter etwas davon haben wollen. Würde also mit dem BGE nicht das Miet- und Preisniveau im Allgemeinen steigen?

Friedrich: Ganz kurz: Nein. Wir haben es im Buch beschrieben, dass es keine Verteuerung der Produkte oder Waren geben wird. Viele Steuern und Abgaben werden entfallen und fließen aus den Produkten heraus und werden durch die Konsumsteuer ersetzt. Das Preisniveau bleibt in etwa gleich.

Für einen jungen Menschen, der noch bei seinen Eltern wohnt, würde ja ein Grundeinkommen von vielleicht 1.000 Euro durchaus reichen, um bequem ohne Arbeit leben zu können. Kann ein BGE nicht dazu führen, dass die Arbeitsmotivation sinkt?

Friedrich: Es gab bereits global zahlreiche Feldversuche. All diese bestätigen genau, dass dies nicht der Fall ist. Die meisten Menschen wollen mehr aus ihrem Leben machen.

Wie hoch schätzen Sie "Missbrauchsquote" eines BGE ein?

Friedrich: Es gab, gibt und wird immer Menschen geben, welche keine Lust auf Arbeiten haben. Die ziehen wir jetzt mit und werden wir auch in Zukunft mit einem BGE mitziehen.

Bei einem BGE könnte es doch sein, dass man für viele unangenehme, aber für die Gesellschaft wichtige Tätigkeiten, kaum noch Personal finden würde, oder?

Friedrich: Oder man fängt an, diese Menschen fair zu bezahlen. Diese unangenehmen Arbeiten werden dann entweder automatisiert, attraktiv bezahlt oder angenehm gestaltet. Wenn wir unser Auto zur Inspektion geben oder zu einem Konzert eines Superstars gehen, bezahlen wir sehr viel mehr als wir gewillt sind einer Kindergärtnerin und einer Krankenschwester zu bezahlen. Vielleicht sollten wir erkennen, dass auch diese Menschen Superstars sind.

Bei der Bundestagswahl trat sogar eine eigens für das bedingungslose Grundeinkommen gegründete Partei an, die 0,2 Prozent der Stimmen erreichen konnte. Welche der im künftigen Bundestag vertretenen Parteien trauen Sie am ehesten die Befürwortung des BGE zu? Ist die Einführung des BGE überhaupt in absehbarer Zeit realistisch?

Friedrich: Momentan leider keiner Partei. Die Grünen aber auch die Linken haben sich dafür mal interessiert, aber das ist nur Kosmetik. Die "Industrie 4.0" wird immer schneller fortschreiten und das Thema wird früher auf dem Tisch liegen als sich manch einer vorstellen kann.

Blicken wir zum Schluss auf Ihren Sachwertefonds. Worauf setzen Sie derzeit hier verstärkt? Was waren Ihre jüngsten Zu- und Verkäufe und warum?

Friedrich: Nach wie vor konzentrieren wir uns auf Sachwerte. Momentan überlegen wir, einen Wald in Deutschland zu kaufen. Bei Revolution Bars, einem britischen Betreiber gehobener Bargastronomie, ist unser Fondsmanager für Aktien nach Ankündigung eines Übernahmeangebots eingestiegen. Als der Kurs bei Ankündigung der verbindlichen Offerte über den Gebotspreis stieg, wurde der Verkauf vorgezogen. Darüber hinaus wurden leichte Zukäufe beim physischen Gold vorgenommen. Wir erwarten, dass sich das Umfeld für Gold und Goldminenaktien weiter aufhellen wird.

Herr Friedrich, vielen Dank für das Gespräch.