Ingolstadt/München
Wer war der Motor des Betrugs?

Ex-Motorenentwickler belastet Audi-Vorstand schwer – Unternehmen schweigt

21.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr
Das Audi-Image ist durch die Abgas-Affäre schwer beschädigt worden. Immer neue Details des Skandals kommen ans Licht. −Foto: Hildenbrand/dpa

Ingolstadt (DK) Die US-Justiz lässt in der Diesel-Affäre nicht locker. Sie hat am Donnerstag eine vorläufige Festnahmeanordnung gegen den früheren Audi-Motorenentwickler Giovanni P. erwirkt – mit dem Ziel seiner Auslieferung. Der Mann sitzt in München in U-Haft und hat jetzt den Audi-Vorstand schwer belastet. Wenn es stimmt, was er in einem 28-seitigen Papier festhielt, dann wusste die Führung über den Betrug Bescheid.

 

Der Beschuldigte war im Neckarsulmer Audi-Werk tätig, im September 2016 beurlaubt und um Februar gekündigt worden, nachdem in den USA Ermittlungen gegen ihn angelaufen waren. Er soll in maßgeblicher Rolle zu dem Team gehört haben, das die Schummelsoftware zur Abschaltung der Diesel-Abgasreinigung im Fahrbetrieb für Audi entwickelte, so der Vorwurf in der amerikanischen Klageschrift („Criminal Complaint“), die unserer Zeitung vorliegt. Demnach war er für die Thermodynamik in der Diesel-Motorenentwicklung zuständig, er soll Mitarbeiter angewiesen haben, die Betrugssoftware zu entwickeln oder einzubauen. Die Manipulationen sollen bewirkt haben, dass die Abgas-Werte von Diesel-Autos auf dem Prüfstand in der Norm lagen, im Alltag aber weit darüber.

P. geriet letztlich auch hierzulande ins Visier der Justiz. Im März, als die Ermittler zur Razzia bei Audi in Ingolstadt auftauchten, erhielt auch er in seinen Privaträumen Besuch von der Polizei; am 3. Juli ließ die Staatsanwaltschaft München II den 60-Jährigen dann wegen des Verdachts des Betrugs und unlauteren Wettbewerbs an seinem Wohnsitz in Karlsruhe festnehmen.

Schon am Tag danach hatten seine Anwälte Walter Lechner und Klaus Schroth den Münchner Behörden Aktenordner mit 500 bis 600 Seiten übergeben, die belegen sollen, dass Giovanni P. nicht der Motor des Betrugs gewesen sein soll. „Es handelt sich dabei um E-Mails, Dokumente, Präsentationen und andere Schriftstücke“, erklärte Verteidiger Lechner gegenüber unserer Zeitung. In der Zwischenzeit hätten er, sein Kollege Schroth und P. ein Papier verfasst, das die zeitlichen Abläufe des Abgas-Betrugs aufzeigen soll, bestätigte er entsprechende Medienberichte von gestern. Die Quintessenz: „Unser Mandant hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Manipulationen gegen US-Gesetze verstoßen“, sagte Lechner.

Laut Giovanni P. soll der Audi-Vorstand schon sehr lange von diesen Manipulationen gewusst haben, bis hinauf zum Vorsitzenden Rupert Stadler – mit anderen Worten: P. sei nur ein kleines Rad im Gesamtgefüge. Ähnlich hatte Anfang des Jahres bereits der ebenfalls entlassene Audi-Motorenentwickler Ulrich W. in einem Prozess mit Audi am Arbeitsgericht Heilbronn argumentiert und auf internen Schriftverkehr verwiesen – ein für den Audi-Vorstand peinlicher Auftritt. Der zuletzt anberaumte Termin am 11. August wurde abgesagt. Das Verfahren ruhe derzeit, teilte das Gericht mit. Das lässt den Schluss zu, dass es wohl nur noch um die (finanziellen) Modalitäten für einen Vergleich geht – W. wäre zum Schweigen gebracht, aber was ist mit P.? Audi gab gestern keine Stellungnahme zu dessen Vorwürfen ab.

Vor vier Wochen schon hatten die US-Behörden eine Festnahmeanordnung gegen P. beantragt, wie sein Anwalt Lechner gestern sagte. „Wir haben aber vom ermittelnden Staatsanwalt erst davon erfahren, als wir am Mittwoch Haftbeschwerde eingelegt haben.“ Lechner findet wenig schmeichelhafte Worte für den Anklagevertreter, der trotz des belastenden Materials gegen die Audi-Spitze sehr einseitig ermittle: „Er hält die Vorgesetzten meines Mandanten für undolose Werkzeuge“ – undolos bedeutet in der Juristensprache so viel wie „nicht vorsätzlich“ oder schuldlos. Giovanni P. komme wegen des US-Gesuchs auch dann nicht frei, wenn die Haftbeschwerde erfolgreich wäre. „Jetzt haben die USA 40 Tage Zeit, den Auslieferungsantrag zu stellen.“