Ingolstadt
Unter Geiern

Landtagskandidaten im Porträt: Wie sich Markus Reichhart ein musisches Hobby bewahrt hat

23.08.2013 | Stand 02.12.2020, 23:45 Uhr

Dort wo man singt, da lass’ dich ruhig nieder: Landtagsabgeordneter Markus Reichhart (links) kürzlich bei einem Geburtstagsständchen für die Mutter eines Mitsängers und Freundes in Böhmfeld. Gemeinsam mit Walter Raml, Stefan Grosch, Tobias Niedermeier und Markus Enzinger (es fehlt hier noch Peter Hulin) tritt der FW-Politiker seit vielen Jahren im „Geierchor“ auf - Foto: Heimerl

Ingolstadt (DK) Alle paar Wochen gelingt es noch. Dann schlüpft MdL Markus Reichhart, erneuter Kandidat der Freien Wähler für den Landtag, in eine Rolle fernab des Politikbetriebs: Als Mitglied der A-cappella-Formation „Geierchor“ wagt er sich auch ans hohe C. Das muss ein Erster Tenor schon können.

Ein gestandener Politiker ist die Bühne gewohnt – allerdings wohl eher als Redner oder Akteur bei mehr oder minder feierlichen Zeremonien. Bei Markus Reichhart liegt der Fall etwas anders. Schon seit 27 Jahren steht er immer wieder mal vor Publikum und lässt der Kunst ihren Lauf. Als es damit losging, hat er bestimmt noch nicht an den Ingolstädter Stadtrat oder gar den Bayerischen Landtag gedacht. Aus dem Jugendkammerchor heraus bildete sich damals ein Männerquintett (das später noch zum Sextett und mitunter auch zum Septett erweitert wurde) mit gar nicht mal so wohlklingendem Namen: Der „Geierchor“ nahm sich jene Comicfiguren zum Vorbild, die in Disneys „Dschungelbuch“ dem kleinen Mogli zum Trost ein Liedchen trällern. „Seid zur Freundschaft bereit“ heißt das Stück in der deutschen Übersetzung. Es gehört seit bald drei Jahrzehnten zum Standardrepertoire der Sänger um Markus Reichhart.

Im musischen Zweig der Ickstatt-Realschule, den der spätere FW-Politiker bis in die frühen 1980er Jahre absolvierte, wurde auch die Singstimme gefordert – da sei wohl „eine Leidenschaft hängengeblieben“, sagt Reichhart heute. Als er sich dem Jugendkammerchor anschloss, wuchs sein Faible für anspruchsvolle Chormusik, und in der wenig später aus der Taufe gehobenen A-cappella-Gruppe kamen auch peppige Stücke ins Programm. Die „Geier“ haben seither so manche private und offizielle Feier bereichert, und obwohl alle Mitglieder längst in ihren Berufen gefordert sind, schaffen sie heutzutage noch alle vier bis sechs Wochen einen Probenabend und eben ab und an auch ein Konzert.

Der Biergarten des Beckerwirts in Böhmfeld. Markus Reichhart sitzt an einem Samstagnachmittag entspannt im Biergarten und plaudert über sein musisches Hobby. In einer halben Stunde will er mit den Freunden auftreten, die er seit der Jugendzeit kennt. Es ist die Geburtstagsfeier der Mutter eines Chormitglieds. Eine innerfamiliäre Sache, könnte man fast sagen. „Ich bin froh, dass ich mir das erhalten habe“, sagt der 47-jährige Abgeordnete bestimmt. Ja, es habe zwischendurch schon mal Gedanken gegeben, die Gruppe aufzulösen. Zum Glück habe man weitergemacht. Jetzt ist das gelegentliche Singen für alle ein Ausgleichssport der besonderen Art, stets auch eine Reminiszenz an die Jugendjahre, an die gemeinsamen Wurzeln. Männerfreundschaft ohne berufliche Hintergründe, ein „in weiten Teilen politikfreier Raum“, wie Reichhart sagt. Manchmal, sicher noch zu selten, ist sogar Zeit für gemeinsame Ausflüge mit den Familienangehörigen.

Wissen die Landtagskollegen, was der FW-Mann aus Ingolstadt so ab und zu in seiner Freizeit macht? Einige wohl schon, glaubt Reichhart. Aber so weit herum wie daheim, wo er inzwischen ja der Stadtratsfraktion der Freien Wähler vorsitzt, ist die Sache mit dem Chor in München natürlich nicht. Zwar hat er unlängst mal eine kleine Privatführung für seine Sangesfreunde durchs Maximilianeum gemacht. Sogar gesungen haben sie dort, aber eben außerhalb des Sitzungsbetriebs, quasi ohne jeglichen politischen Background. Wie auch? Es war reine Privatsache.

Reichhart erzählt, wie er seiner Frau vor fünf Jahren fast beiläufig beigebracht hat, dass er als Landtagskandidat nominiert worden war. Sie müsse aber nicht so fest damit rechnen, dass das auch klappen werde, habe er fast entschuldigend hinzugefügt. Dann kam der große Triumph für die Wählergruppierung, und die Welt der Familie Reichhart (drei Kinder zwischen sechs und 17 Jahren) sah plötzlich anders aus. „Auch vorher war ich durch den Stadtrat schon häufiger abends weg“, sagt der Abgeordnete. Dann aber waren es plötzlich sieben Tage in der Woche, die nahezu ausschließlich für Politik draufgingen: „Das löst in der Familie nicht nur Begeisterung aus.“

Gerade in den ersten beiden Jahren in München habe es kaum Platz fürs Private gegeben, bekennt der Optikermeister, dessen Geschäft jetzt als GmbH mit einem geschäftsführenden Gesellschafter seines Vertrauens weiterläuft. „Die Schulzeit meines Ältesten ist fast spurlos an mir vorbeigegangen“, zeigt er die Schattenseiten des Politikbetriebs auf. Das soll ihm bei den jüngeren Kindern nicht noch einmal passieren. Man habe sich in der Familie auf einen Modus geeinigt, der auch fürs Private noch etwas Freiraum lässt. Das Singen ist so ein Mosaikstein dieses Konzepts, aber natürlich soll gerade auch für Frau und Kinder immer wieder Zeit sein.

Dass er jetzt, praktisch mitten im Wahlkampf, noch mit einem Sohn und einem Neffen eine Radtour über 700 Kilometer machen will, ist auch so ein Stück zurückeroberter Lebensqualität. Manche politische Freunde seien da zwar skeptisch, aber er habe ein reines Gewissen, meint Reichhart. Er habe bald fünf Jahre lang fleißig gearbeitet im Landtag, da könne der Wiedereinzug ins Parlament nicht an ein paar Tagen Urlaub scheitern.

Denn Reichhart möchte eigentlich nicht so werden wie einige Kollegen, die sich einen Tag ohne pausenloses öffentliches Getöse nicht mehr vorstellen können – Politikroboter, die glauben, dass es ohne sie nicht geht. „Das finde ich gar nicht gut“, meint der FW-Mann, aber er weiß auch, dass es politische Herausforderungen geben kann, denen man sich vielleicht nicht verschließen sollte.

Reichhart bringt den Gedanken nicht selbst ins Spiel, aber er wehrt sich auch nicht völlig gegen die Vorstellung, einmal – vielleicht ja sogar schon in wenigen Wochen – nicht mehr Oppositionsabgeordneter, sondern womöglich in München Mitglied einer bürgerlichen Regierungskoalition mit den Christsozialen zu sein – ganz so, wie er das aus dem Ingolstädter Rathaus ja bestens kennt. Nein, vertiefen will er dieses Gedankenspiel nicht. Doch so viel ist sicher: „Das im Landtag dient nicht meiner Selbstbespaßung, da habe ich schon den Anspruch, dass ich das gut machen will.“

Mindestens so gut wie den Chorgesang also, und der ist sicher nicht von minderer Qualität. Die Sänger sammeln sich zum Einsingen vor dem Auftritt. In einem Nebenraum des Gasthofs gehen sie mehrstimmig unter anderem ein paar Strophen jenes Pfadfinderliedes durch, das in der englischen Ursprungsversion als „Auld Lang Syne“ weltbekannt wurde. „Nehmt Abschied Brüder, schließt den Kreis, das Leben ist ein Spiel“, schallt es bis auf den Flur. „Und wer es recht zu spielen weiß“, so geht es bekanntlich weiter, „gelangt ans große Ziel.“ Das könnte ja auch für die Politik gelten.