Washington
Mit dem Kopf durch die Wand

17.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

Frisch im Amt: Am 20. Januar 2017 unterzeichnete Donald Trump die Ernennungsurkunde für den neuen Verteidigungsminister James Mattis.

Seit einem Jahr regiert im Weißen Haus Donald Trump. Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten vergreift sich immer wieder in der Wortwahl, ihm fehlen Manieren und oft auch das politische Geschick. Eine erste Bilanz.

Es war ein unangenehmer Tag in Washington, dieser 20. Januar 2017. Schon früh am Morgen zog nasskalt der Nebel über die Stadt, später sollte es leicht zu regnen beginnen. Es war der Tag der Amtseinführung von Donald Trump. Der Immobilienmagnat aus New York ließ sich auf den Treppenstufen des Kapitols zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigen. Anschließend sandte er einen 16 Minuten anhaltenden Wortschwall an sein Volk und in die Welt, wie es ihn zuvor so von dieser Stelle noch nicht gegeben hatte: Donald Trumps Rede zu seiner Amtseinführung geriet nicht zum Versöhnungsversuch - es war eine Tirade. Der Wahlerfolg hat den verbissenen Wahlkämpfer Trump nicht verändern können.

Der neue Präsident predigte Einheit. Und er säte Zwietracht. Politikwissenschaftler sind sich ein Jahr nach der historischen Rede einig: Die Spaltung Amerikas hat nicht unter Trump begonnen - aber sie ist unter dem Populisten größer geworden. Trump setzte in seiner zornigen, düsteren Antrittsrede vor allem drei Schwerpunkte: Einheit der Nation, Kampf dem Establishment - und immer wieder "America first". "Die Rede spiegelte den Zorn und die Dunkelheit seiner Weltsicht und der seiner Anhänger", schrieb der Kommentator Mike Purdy im Politmagazin "The Hill" damals.

"Wir, die Einwohner der Vereinigten Staaten, sind vereint in der Anstrengung, unser Land neu aufzubauen." Gleich einer der ersten Sätze Trumps, vorgetragen mit offenem Mantel und zugekniffenen Augen, war eine Täuschung. Trump hat - erwartungsgemäß - nicht geeint, sondern gespalten. Schwarz gegen Weiß, Einwanderer gegen Einheimische, Arm gegen Reich, Links gegen Rechts, Nationalisten gegen Globalisierer. In den USA sind die Gräben tiefer geworden, die Auseinandersetzungen verbitterter. "Herr Trump, sind Sie ein Rassist", rief eine Reporterin dem Staatsoberhaupt dieser Tage zu. Selten hat sich ein US-Präsident solch eine Frage gefallen lassen müssen. Erst Tage später antwortete er: Nein, er sei kein Rassist. Immerhin.

Trump versprach von den Stufen des Kapitols das, was er im Wahlkampf angedeutet hatte: Er wolle dem Establishment die Macht entreißen und sie dem Volk zurückgeben. "Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder die Regierung übernahm", sagte Trump salbungsvoll. Die Realität ist zwölf Monate später eine andere: Noch nie waren so viele Vertreter des Großkapitals in einer Regierung versammelt wie unter Donald Trump. Die Wall Street, so befürchten Kritiker, hat die Macht übernommen, nicht das Volk. Fast täglich jubiliert Donald Trump über steigende Börsenkurse. Die Nutznießer sind nicht die kleinen Leute im Mittleren Westen.

Tatsächlich hat er sich mit dem politischen Establishment in Washington angelegt - vielleicht ein Zeichen von Mut, vielleicht auch von Hilflosigkeit. Etablierte Parteigänger der Republikaner werfen reihenweise das Handtuch, bei vielen der inzwischen nur noch 51 Senatoren der Partei gilt Trump als Rotes Tuch. Schon im November könnte Trump die Mehrheit in einer der beiden Parlamentskammern verlieren - dann wird das Regieren noch schwerer. Der Senat und die republikanische Mehrheit dort ist für den Präsidenten das wichtigste politische Gestaltungsinstrument. Vor den Zwischenwahlen 2018 versucht Trump, dort Altgediente gegen Vertreter seiner populistischen Bewegung auszutauschen. In Alabama misslang das vor Kurzem gründlich, als Roy Moore sang- und klanglos unterging. In Arizona versucht Trump nun, den berüchtigten, migrationskritischen Sheriff Joe Arpaio zu platzieren.

Im Weißen Haus selbst ist kaum noch ein Establishment-Republikaner in führender Stellung im Dienst, seit Sean Spicer entnervt das Sprecher-Amt hinwarf und Reince Priebus als Stabschef durch Ex-General John Kelly ersetzt wurde. Die wichtigsten Kabinettsposten sind entweder mit Militärs wie Verteidigungsminister James Mattis oder mit Finanzjongleuren wie Finanzminister Steven Mnuchin oder Handelsminister Wilbur Ross besetzt.

Trump zeichnete schon am Tag eins seiner Amtszeit sein eigenes Bild von den Vereinigten Staaten. Verrostete Fabrikruinen, vernachlässigte Arbeiter, bildungsferne Studenten, ganze Landstriche überflutet von Kriminalität und Drogen. "Dieses Massaker Amerikas endet hier und jetzt", rief Trump einer jubelnden Masse zu. All das Aufgezählte existierte vor einem Jahr in Amerika. All das gibt es noch immer. Trump hat weder die Drogenkrise in seinem Land gelöst, noch haben sich die Kriminalitätsraten dramatisch verändert, noch wurden massenweise aufgelassene Fabriken wiedereröffnet.

Auch außenpolitisch treten die Vereinigten Staaten auf der Stelle. Im Nahen Osten macht Trump Klientelpolitik, in der Nordkorea-Krise regieren große Worte statt starker Taten. Wie groß die Angst in der Bevölkerung vor einem Atomkrieg mit Nordkorea ist, bewies erst vor Tagen ein Fehlalarm auf Hawaii: Tausende gerieten in Panik, hatten Todesangst. "Das geht auf Ihr Konto, Herr Trump", schrieb die Schauspielerin Jamie Lee Curtis.

Elaine Kamarck vom angesehenen Washingtoner Politik-Thinktank Brookings kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: "Das erste Jahr seiner Präsidentschaft war nichts als eine riesige, selbst zugefügte Wunde." Trump habe kaum eines seiner Versprechen umsetzen können. Er legte sich mit den Senatoren seiner eigenen Partei an, er brach mit wichtigen Helfern, sein Außenminister nannte ihn - von Rex Tillerson selbst bisher nicht dementiert - einen "Idioten". Die Umfragewerte, auf die Trump selbst so gerne schielt, sind verheerend - und ungleich schlechter als bei jedem seiner Vorgänger zur selben Zeit. Ein Buch des Autors Michael Wolff enthüllte: Trump wird als Chaot gesehen, das Weiße Haus steht politisch in Flammen.

Wie wenig Donald Trump sein Versprechen, die gesellschaftliche Spaltung Amerikas zu überwinden, wahr machen konnte, beweist auch die Sichtweise auf das erste Jahr seiner Amtszeit. "Die Börsen florieren, und die amerikanische Wirtschaft hat sechs Billionen Dollar an Wert gewonnen", sagt Stephen Moore von der erzkonservativen Heritage Foundation. Trumps Steuerreform und seine Deregulierungspolitik, die vor allem mit seiner Ansicht nach unnützen Umweltauflagen aufräumt und der Finanzindustrie einen Teil der nach der Krise 2008 angelegten Zügel entfernte, ließ die Anleger jubeln.

Das Pew Research Center fand heraus, dass 60 Prozent der Amerikaner der Meinung sind, das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen habe sich verschlechtert. Trumps Kommentare zu den rassistischen Vorkommnissen in Charlottesville und jüngst in der Debatte um Trumps "Drecksloch"-Kommentar trugen mit Sicherheit dazu bei. Auch in der Mediennutzung wird die zunehmende Spaltung deutlich. Was international angesehene Zeitungen wie die "New York Times" oder die "Washington Post" schreiben und enthüllen, interessiert im Trump-Lager nicht mehr. Seine Anhänger stützen sich auf die Berichterstattung ihrer Getreuen, etwa von Rupert Murdochs FoxNews.

Die dritte und wichtigste Säule von Trumps Antrittsrede wackelt noch: "America first!" Er meinte damit neben militärischer Aufrüstung und Alleingängen etwa in der Klimapolitik unter anderem die Handelsbeziehungen zu wichtigen Partnern wie China oder die Nachbarn Mexiko und Kanada. Während man den Ausländern geschmeichelt habe, seien US-Werke geschlossen worden, monierte Donald Trump. Sein Lösungsmodell: eine drastische Politik der wirtschaftlichen Abschottung. Die Segel dafür sind schon einmal gesetzt, Trumps Handelsbeauftragter Robert Lighthizer, ein erklärter Anti-Globalisierer, führt das Kommando.

Das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta könnte kippen, den Freihandel mit den Pazifikstaaten hat man gar nicht erst aufgenommen. Handelskriege mit China und sogar mit engen Verbündeten wie Deutschland drohen.

In Großbritannien geht in Brexit-Zeiten die Furcht um, neben den Europäern auch noch den Partner auf der anderen Atlantik-Seite zu verlieren. Dafür brummen im Inland Wirtschaft und Arbeitsmarkt - nach einer Steuerreform, die nach Meinung von Kritikern vor allem Wahlkampfspendern Trumps hilft. Ende Januar reist Trump mit einer Delegation von Wirtschaftsexperten nach Davos zum Weltwirtschaftsforum - mitten ins Herz des globalisierten Welthandels.