Regensburg
Nach dem Schiffbruch

Die Piraten kämpfen beim Parteitag in Regensburg gegen die Bedeutungslosigkeit

22.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Der neue Piraten-Vorsitzende Carsten Sawosch beim Bundesparteitag in Regensburg. - Foto: Jädicke

Regensburg (DK) Die Partei ist am Ende. Aber das war die FDP auch. Beim Bundesparteitag der Piraten am Wochenende in Regensburg berieten die verbliebenen Aktivisten über Wege aus der Bedeutungslosigkeit.

Patrick Schiffer schmeißt hin. Der Bundesvorsitzende der Piraten tritt beim Regensburger Parteitag nicht wieder für den Vorsitz an. Im Saal wird gequatscht, gelacht und gestreamt. Schließlich sind die Piraten mal als die Netzpartei angetreten. Aber der große Coup blieb aus. Mehr als zehn Jahre nach dem "Beginn einer neuen Zeitrechnung" in Politik und Netz steht noch immer kein reibungslos funktionierendes Online-Tool zur Verfügung, das das vollmundige Versprechen einlöst und die Politik ins Netz holt. Und es ist nicht das Einzige, das nicht funktioniert. Oben auf der Bühne spricht Pakki, wie ihn Parteifreunde nennen.

Der scheidende Bundesvorsitzende will erst mal raus aus der Politik. Und weil er die Sache mit den Piraten wirklich ernst gemeint hat, entschuldigt er sich für die beiden großen Fehler, die er gemacht habe. "Es ist mir nicht gelungen, den Vorstand zu einem Team zu machen", sagt er. Und zum anderen sei da seine Neigung zu Alleingängen. Das kam nicht gut an in einer Partei, die sich Transparenz, Bürgerbeteiligung und die "liquid democracy" auf die Fahne geschrieben hat. "Ich bin halt ein nervöser und sehr aktiver Typ" erklärt er und die meisten sehen es ihm nach.

Aber das alleine wäre auch nicht das Problem. Und würde wohl kaum eine Partei an den Rand des Ruins bringen, die 2009, drei Jahre nach ihrer Gründung, binnen weniger Monate ihre Mitgliederzahl verzehnfacht hat und bis 2011 noch einmal verdreifachte. 35 000 Mitglieder waren damals an Bord gegangen und hatten die Landtage "gekapert". Eine Abrechnung ist Schiffers Rechenschaftsbericht zwar nicht. Wohl aber ein schonungsloses Sittenbild einer Partei, die nicht weiß, wofür sie steht, wie man miteinander umgeht und auch nicht, wie man Politik macht. Dass die Partei "im Arsch ist", wie es Ex-Piratin Marina Weisband in einem "Spiegel"-Interview formulierte, glaubt er dennoch nicht. "Wir haben viel Potenzial", sagt er. "Dafür braucht es aber eben auch so klassisch deutsche Tugenden wie Disziplin."

Ohne sie bleiben die Piraten wohl ein Haufen Politikbegeisterter, überrollt vom eigenen, utopischen Anspruch, überfordert vom realpolitischen Alltag. Selbst ein gepflegtes Miteinander muss die Partei lernen, in der sich vor allem diejenigen treffen, die schon immer gegen alles waren, die Hobby-Soziologen und Küchenpsychologen, Politikverweigerer und Selbstdarsteller. Eine bunte Mischung, die Segen und Fluch zugleich ist.

Die Piraten kämpfen ums Überleben. Und die Kampflinien verlaufen keineswegs entlang gängiger Spuren. Hier geht es nicht um links oder rechts oder gar um Inhalte. Hier geht es um Fundamentales. Wollen wir Partei sein? Oder doch lieber "Think Tank", Plattform für Aktivisten oder Bürgerbewegung? Manch einer würde am liebsten gleich auf Vorstände und Kreisverbände pfeifen und in einer Art Anarchie im Internet aufgehen. Während durchaus einige systematisch Politikfelder beackern wollen, schwadronieren andere davon, der Gesellschaft ein neues Betriebssystem zu verpassen - global und überhaupt.

Dass das so nicht funktioniert, weiß auch Carsten Sawosch, der neue Bundesvorsitzende. Der IT-Spezialist wird deshalb konkret. "Wir sind ganz klar eine Partei und werden uns in Zukunft um Bildung, Digitalisierung und Gesundheit kümmern." Wenn die Piraten nicht als Randnotiz in die Geschichte eingehen wollen, dann müsse Schluss sein mit der Selbstzerstörung. "Wir wollen über kleine Schritte Menschen motivieren, in den Kommunalparlamenten Politik zu machen." Aber genau darin liegt für viele Piraten die größte Herausforderung.