Prag
Tschechien am Scheideweg

Am Wochenende wird ein neues Parlament gewählt Umfragen deuten auf einen Wahlerfolg der Europaskeptiker hin

19.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Prag (AFP) Das "Ja" wird bei Andrej Babis (Foto) groß geschrieben - zumindest im Namenskürzel seiner Partei ANO. "Ano" bedeutet auf Tschechisch "Ja". Doch eigentlich steht die Abkürzung für Aktion unzufriedener Bürger - und somit eher für Nein. Kopf der Bewegung, die klarer Favorit bei der tschechischen Parlamentswahl am Wochenende ist, ist der 63-jährige Multimilliardär Babis. Und der sagt zu vielem "zádný" (nein): zu Flüchtlingen, zum Euro und mehr.

Dieses Programm ist vor allem eins: Babis selbst. Das wird schon in dem Spitznamen "tschechische Version Trumps" deutlich, der zum einen von seinem immensen Vermögen herrührt. Das Magazin "Forbes" schätzt es auf rund 3,5 Milliarden Euro, Platz zwei in Tschechien. Damit liegt er noch vor US-Präsident Donald Trump mit umgerechnet 2,6 Milliarden Euro Vermögen. Zum anderen bedient Babis wie das US-Original gezielt die Ängste und die Wut derer, die sich gesellschaftlich abgehängt sehen.

Immer wieder hämmerte er den Wählern vor dem Urnengang am Freitag und Samstag ein, dass es um alles gehe. "Jetzt oder nie" sei die Gelegenheit, die Korruption loszuwerden, sie müssten ihn nur zum Regierungschef wählen. Von einer "betrügerischen Hydra" sprach er. Dass er selbst des Subventionsbetrugs beschuldigt wird, scheint ihn dabei nicht anzufechten. Dem Unternehmer und Ex-Finanzminister wird vorgeworfen, unrechtmäßig EU-Fördermittel in Höhe von zwei Millionen Euro bezogen zu haben.

Wegen des Verdachts verlor Babis im Mai sein Amt als Finanzminister und im September seine parlamentarische Immunität. Der Ex-Chef des Konzerns Agrofert bestreitet die Vorwürfe und bezeichnet sie als Versuche, ihm den Wahlsieg zu nehmen. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf mutmaßliche Einflussnahme auf Journalisten, die für Zeitungen seines Unternehmensimperiums arbeiten. Zudem hängt ihm der Verdacht an, zur Zeit der Kommunisten Agent der Geheimpolizei in der damaligen Tschechoslowakei gewesen zu sein.

Doch von derlei Petitessen lässt sich Babis nicht irritieren. Er hält Kurs: Mit ihm werde es keinen Euro-Beitritt Tschechiens geben. Er werde für eine "faire" EU sorgen, in der "niemand Mitglied zweiter Klasse" sei. Einen "Czexit" will Babis zwar ausdrücklich nicht. Doch die Unzufriedenheit im Land heizt er dennoch gezielt an. Nach einer Umfrage des Instituts CVVM von vor einigen Monaten sind zwei Drittel der Tschechen der Meinung, dass die Entscheidungen Brüssels nicht im Interesse ihres Landes seien.

"Einige Wähler, Politiker und Journalisten neigen dazu, diese Wahl zu einer Art Referendum über Babis zu stilisieren. Aber das Schlimme und Gefährlichere ist, dass Themen wie Flüchtlingskrise und EU-Kritik an Boden gewinnen", sagt Experte Josef Mlejnek von der Karls-Universität. In Osteuropa - allen voran in Polen und Ungarn - sind dies bekannte Töne. Budapest und Warschau trommeln gegen eine EU-weite Flüchtlingsquote und ätzen bei jeder Gelegenheit gegen Brüssel, während sie zugleich Nutznießer der EU-Förderung und des Binnenmarktes sind. Tschechiens Wirtschaft hat sich zuletzt gut entwickelt. Die Arbeitslosenquote liegt bei nur 3,8 Prozent (September) und das Wirtschaftswachstum dürfte von 2,6 Prozent 2016 auf 3,1 Prozent in diesem Jahr klettern. Vor allem die Autoindustrie und Exporte in die EU tragen dazu bei.

Die politische Konkurrenz hat Babis bislang nichts entgegenzusetzen: ANO, die zuletzt zusammen mit den Sozialdemokraten (CSSD) von Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und den Christdemokraten (KDU-CSL) die Regierung in Prag bildete, liegt in einer Meinungsumfrage der tschechischen Akademie der Wissenschaften mit 30,9 Prozent der Stimmen weit vor der CSSD (13,1 Prozent) und der Demokratische Bürgerpartei (ODS) (9,1 Prozent).

Foto: Cizek/AFP