Noch ein Einsatz für deutsche Soldaten

Awacs-Aufklärungsflugzeuge der Nato werden in Türkei verlegt – "Die Bundeswehr ist ausgebucht"

27.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:23 Uhr

Berlin (DK) Erst die Tornado-Maschinen, das Tankflugzeug und die Fregatte als Teil der internationalen Koalition gegen die Terror-Miliz des „Islamischen Staates“ (IS). Jetzt der Einsatz von Soldaten in Awacs-Maschinen der Nato zur Aufklärung des türkischen Luftraumes – die Bundeswehr engagiert sich immer stärker im Kampf gegen den IS. Beinahe beiläufig wurden die Bundestagsabgeordneten von den Plänen und den zusätzlichen Aufgaben für die Truppe informiert. Kurz vor Weihnachten unterrichteten Auswärtiges Amt und Bundesverteidigungsministerium die zuständigen Ausschüsse des Parlaments in einem zweiseitigen Schreiben, das unserer Berliner Redaktion vorliegt.

Wenn in Kürze Aufklärungsflugzeuge der Nato vom Stützpunkt Geilenkirchen auf den türkischen Flughafen Konya verlegt werden, sind auch rund ein Drittel deutsche Soldaten mit an Bord und in den Führungsstäben dabei. Eine Beteiligung des Bundestages und ein Mandat seien nicht notwendig, so die Bundesregierung. Der Einsatz erfolge „mit einem ausschließlich defensiven Auftrag“, es seien keine Waffengewalt oder Gegenwehr zu erwarten. So verfüge die IS-Terrormiliz über keinerlei Luftstreitkräfte. Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Streitkräfte des syrischen Diktators Assad Luftangriffe gegen die Türkei fliegen würden, heißt es in den Schreiben.

Grünen-Wehrexperte Tobias Lindner gibt sich mit diesen Auskünften nicht zufrieden und fordert von der Bundesregierung Klarheit über die geplante Nato-Mission. „Was passiert mit den bei diesen Aufklärungsflügen gewonnenen Informationen? Welchen Auftrag haben die Einsatzkräfte genau? Wie viel Personal verlegt die Bundeswehr dauerhaft in die Türkei“, fragte Lindner gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. Es reiche nicht aus, wenn die Bundeswehr erkläre, dass Bundeswehrsoldaten nicht an Kampfhandlungen beteiligt sein werden. „Auch wenn die Truppe nur mittelbar an einem Kampfeinsatz beteiligt wird, wäre das mandatspflichtig“, erklärte der Grüne.

Gerade noch waren die „Patriot“-Luftabwehrstellungen der Bundeswehr zum Schutz der Türkei vor möglichen Luftangriffen im Einsatz. Am Mittwoch sollen die letzten 300 Soldaten der Einheit wieder nach Deutschland zurückkehren. Schon läuft die Planung für eine weitere Mission. Die Nato hatte kurz vor Weihnachten beschlossen, die Luftüberwachung für den Partner Türkei mit Awacs-Maschinen fortzusetzen. Werden jetzt die Befürchtungen der Opposition im Bundestag Realität, die vor einer schnellen Ausweitung des Anti-Terror-Einsatzes und der Beteiligung der Bundeswehr an einem Krieg gewarnt hatte?

Der Anti-Terror-Einsatz im syrischen Krisengebiet, die Überwachung des türkischen Luftraums, Flüchtlingsrettung im Mittelmeer, in Kürze die Ausweitung der UN-Mission in Mali, der Kampf gegen Piraten am Horn von Afrika, die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes und nicht zuletzt hierzulande die Flüchtlingshilfe – nicht nur für den Wehrbeauftragen marschiert die Bundeswehr mittlerweile „absolut im roten Bereich“. Hat die Truppe mit ihren nur noch 178 000 Soldaten ihre Belastungsgrenze erreicht oder womöglich bereits überschritten?

„Die Bundeswehr ist seit 25 Jahren personell im freien Fall“, warnt der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, und fordert erneut eine Aufstockung der Truppe. Mindestens 7000 Soldaten mehr brauche es, um bei immer neuen Auslandseinsätzen die zusätzlichen Aufgaben erfüllen zu können. Auch der Bundeswehrverband schlägt Alarm. 20 000 Soldaten in Auslandseinsätzen, dazu rund 9000 in der Flüchtlingshilfe – die Truppe sei inzwischen ausgebucht, „in Teilen überbucht“, klagt Verbandschef André Wüstner und fordert eine Aufstockung der im Zuge der Bundeswehrreform geschrumpften Armee um 5000 bis 10 000 Soldaten.