Madrid
Konfrontation ohne Wenn und Aber

22.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Mariano Rajoy greift in Katalonien härter durch als erwartet. Nach dem grünen Licht des Senats will er die separatistische Regionalregierung absetzen und Neuwahlen ausrufen. Ist der Konflikt zu Ende? Kaum. Die Angst vor Gewalt wächst.

Madrid/Barcelona (dpa) Die Separatisten in Katalonien stehen vor dem Aus. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy kündigte am Wochenende die Absetzung des aufmüpfigen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont und aller Kabinettsmitglieder an. Der Countdown läuft: Schon am Freitag wird der Senat für diese und weitere Zwangsmaßnahmen grünes Licht geben. Innerhalb von sechs Monaten soll es Neuwahlen geben.

"Die Regierung stellt in Katalonien die verfassungsmäßige Ordnung wieder her", jubelte gestern die Zeitung "El País". Dass der Unabhängigkeitsbewegung damit aber der Todesstoß versetzt wird, bezweifeln Beobachter.

Schon wenige Stunden nach Rajoys Ankündigung gingen in Barcelona Hunderttausende Katalanen auf die Straße, um gegen Madrid zu protestieren. Die Polizei meldete mindestens 450 000 Teilnehmer der Kundgebung. Die Demonstranten - darunter Puigdemont und Bürgermeisterin Ada Colau - skandierten unter anderem "Freiheit, Freiheit!". Viele riefen: "Wir werden die Besetzung Kataloniens nicht zulassen!"

Die Regierung Rajoy reagierte mit den angekündigten Zwangsá †maßnahmen auf die Weigerung Puigdemonts, ein für Donnerstag gesetztes Ultimatum zu erfüllen und das Streben nach Unabhängigkeit zu beenden. Rechtliche Grundlage der Pläne ist Verfassungsartikel 155, der bisher in Spanien nie zur Anwendung gekommen war. Keine Regierung dürfe akzeptieren, "dass das Gesetz verletzt und ignoriert wird", sagte der Ministerpräsident.

Puigdemont hatte unter anderem am 1. Oktober ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten lassen. 90 Prozent der Teilnehmer stimmten für eine Abspaltung von Spanien. Die Wahlbeteiligung lag allerdings nur bei gut 40 Prozent. Nach der Abstimmung stellte Puigdemont eine baldige Ausrufung der Unabhängigkeit in Aussicht.

Die Maßnahmen zur "Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit und des friedlichen Zusammenlebens", wie Rajoy sagte, sehen neben der Absetzung der Regionalregierung und der Neuwahl auch vor, dass die Befugnisse des Parlaments in Barcelona bis zur Auflösung stark eingeschränkt werden. Madrid will zudem unter anderem auch die Kontrolle über Polizei, Finanz- und andere Behörden übernehmen und die amtlichen katalanischen Medien unter Aufsicht stellen.

Nach seiner Teilnahme an der Protestkundgebung wies Puigdemont in einer TV-Ansprache die Maßnahmen als "Putsch" sowie als "inakzeptablen Angriff auf die Demokratie" zurück. Der Chef der Separatisten beteuerte, man werde weiter kämpfen. Bei der Zurückweisung des letzten Ultimatums aus Madrid hatte Puigdemont zuvor gewarnt, die Anwendung von Zwangsmaßnahmen könne Katalonien zu einer Unabhängigkeitserklärung bewegen.

Sollte die Unabhängigkeit tatsächlich ausgerufen werden, müsste Puigdemont seine sofortige Inhaftierung fürchten. Generalstaatsanwalt José Manuel Maza hat für diesen Fall schon einen Strafantrag wegen Rebellion in der Schublade, wie er sagte. Für Rebellion sieht das spanische Gesetz Haftstrafen von bis zu 30 Jahren vor.

Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen reihen sich ein in Autonomieforderungen anderer europäischer Regionen. So stimmten in Norditalien die Bürger der Lombardei und Venetiens gestern über weitere Kompetenzen für ihre Regionalregierungen ab. Dabei geht es aber vor allem ums Geld - nicht aber um Unabhängigkeit.

Die Katalanen schlagen indes alle Warnungen in den Wind. Die Parlamentschefin in Barcelona, Carme Forcadell, verkündete mit entschlossener Miene: "Wir werden keinen Schritt zurückweichen." In Spanien und im Ausland wachsen deshalb die Sorgen vor einer Eskalation. Als "höchst gefährlich und wenig Erfolg versprechend" bezeichnete etwa der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Ulrich Delius, die Maßnahmen. Der frühere Coach des FC Bayern, Pep Guardiola, selbst stolzer Katalane, klagte: "Ich dachte, im 21. Jahrhundert passiert so etwas nicht." Er warnte aber auch Madrid: "Die Stimme des Volkes ist stärker als jedes Gesetz."

Sogar in den Reihen von Rajoys konservativer Volkspartei (PP) wird sorgenvoll in die Zukunft geschaut. Die frühere PP-Abgeordnete und Geschichtswissenschaftlerin Cayetana Ãlá †varez de Toledo schrieb in der Zeitung "El Mundo", der Separatismus werde nicht das Handtuch werfen. Sie schloss selbst den "Einsatz des Militärs" nicht aus.

Rajoy soll sich laut "El Mundo" lange vor der Anwendung von Artikel 155 gescheut und Berater gefragt haben: "Was ist, wenn sie (die Katalanen) nicht gehorchen" Der als zögerlich kritisierte Regierungschef wurde am Wochenende in Madrid als Retter gefeiert. So jubelten etwa Rentner in einem Café : "Endlich hat er cojones (Eier) gezeigt." Pablo Echenique, Sprecher der linken Partei Podemos, bezeichnete Rajoy dagegen als "Brandstifter".