London
Viel gewagt, fast alles verloren

Theresa May wird vom Wähler abgestraft, will sich aber in eine Minderheitsregierung retten

09.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:58 Uhr

London (DK) Als sie in der Früh in ihrem Wahlkreis Maidenhead eintrifft, ist ihre Miene wie versteinert. Theresa May weiß zu diesem Zeitpunkt, dass sie ihren eigenen Unterhaussitz locker halten wird. Aber das politische Glücksspiel der Premierministerin, Neuwahlen auszurufen, um ihre Mehrheit im Parlament auszubauen, ist krachend fehlgeschlagen.

May hat sich schlicht verzockt. In diesem Moment weiß sie auch, dass ihre Partei nicht Sitze hinzugewonnen, sondern zwölf Mandate verloren hat. Das bedeutet vor allem eine schallende persönliche Ohrfeige für die Regierungschefin.

May setzt zu einer kurzen Rede an, ihre Stimme klingt brüchig. Dann fasst sie sich wieder. "In diesen Zeiten braucht das Land mehr als alles andere eine Periode der Stabilität. Wenn die Konservativen die meisten Sitze und die meisten Stimmen gewonnen haben, obliegt es uns sicherzustellen, diese Phase der Stabilität zu bekommen." Ungelenk wirkende Worte, um zu sagen: Die konservative Partei will weiterhin die Regierung stellen. Aufgeregte Fragen von Journalisten, ob sie zurücktreten wird, ignoriert die Premierministerin.

Im Laufe des Vormittags wird ein zuvor geplantes Statement von Theresa May abgesagt. Spekulationen, ob die Premierministerin hinter den Kulissen von Parteikollegen zum Rücktritt gedrängt wird, schießen ins Kraut. Dann lässt Downing Street verlauten: May wird die Queen noch am Freitag aufsuchen und Elizabeth II. bitten, eine Regierung bilden zu dürfen. Damit ist klar: Sie will trotz der Schlappe im Amt bleiben.

Als die Premierministerin von der Audienz mit der Queen zurückkommt, wirkt sie wieder gefasst und resolut. Im königsblauen Kostüm tritt May ans Rednerpult und wendet sich ans Volk. "Ich werde eine Regierung bilden, die das Land durch die kritischen Brexit-Verhandlungen führt, die in nur zehn Tagen beginnen." Man werde, so May, "mit unseren Freunden in der Democratic Unionist Party im Besonderen zusammenarbeiten".

Damit ist klar: Es soll eine Minderheitsregierung werden. Die Democratic Unionist Party (DUP) hat in Nordirland zehn Mandate gewinnen können. Zusammen mit den 318 Sitzen der Konservativen würde es gerade reichen, dass eine Regierung im Parlament nicht abgewählt werden kann - die Grenze liegt bei 326 Sitzen.

Eine Koalition im klassischen Sinne wird es nicht. Der Deal sieht wie folgt aus: Die DUP unterstützt die Regierung May in den entscheidenden Abstimmungen und bekommt dafür einige Zugeständnisse. Wie sollen die aussehen? Darüber muss in den nächsten Tagen verhandelt werden, aber es dürfte auf mehr Geld für die Provinz hinauslaufen und auf ein Mitspracherecht bei den Verhandlungen zum Brexit. Denn die DUP tritt für einen Verbleib Nordirlands in der Zoll-Union ein, um zu verhindern, dass es zu einer harten Grenze zwischen der Provinz und EU-Staat Irland kommt.

Doch noch ist es zu früh, um mit Sicherheit wissen zu können, wie es weitergeht. Großbritannien ist in eine Phase der Unwägbarkeiten eingetreten. Eine der vielen Fragen lautet: Wird sich May innerhalb ihrer eigenen Partei behaupten können, obwohl sie verantwortlich für die Wahlschlappe ist? Ihr großer Konkurrent, Außenminister Boris Johnson, wird jetzt hinter den Kulissen ausloten wollen, ob Mays Rückhalt in der Fraktion noch ausreicht oder seine eigenen Chancen steigen. Immerhin hatte die Premierministerin ohne Not die Wahlen angesetzt und mit schwachen Wahlkampfauftritten ihre große Popularität verspielt.

Für den Brexit hat der überraschende Wahlausgang weitreichende Bedeutung. Die Gesprächspartner in Brüssel hatten sich eine deutliche Mehrheit für May gewünscht, damit die Premierministerin nicht mehr erpressbar durch die Hardliner in ihrer Partei ist. Mit Zufriedenheit wird man in Brüssel aufnehmen, dass May am Zeitplan festhält: Am 19. Juni sollen die Verhandlungen beginnen. Begrüßt dürfte auch werden, dass die Chancen auf einen harten Brexit deutlich gefallen sind. ‹ŒKommentar Seite 2