London
Theresa May eröffnet den Austritts-Poker

Britische Regierung will angeblich 20 Milliarden Euro für Brexit zahlen Doch die EU fordert deutlich mehr Geld

20.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:28 Uhr

London (DK) Ein Sprecher in der Downing Street nannte es "pure Spekulation", aber das bedeutet nicht, dass es nicht wahr wäre: Premierministerin Theresa May ist bereit, 20 Milliarden Euro an die EU zu zahlen als Preis für den Brexit. Das meldete gestern die gewöhnlich gut unterrichtete "Financial Times". Danach habe Mays EU-Berater Oliver Robbins europäische Regierungen davon unterrichtet, dass die britische Premierministerin, wenn sie morgen ihre Grundsatzrede zum Brexit in Florenz hält, sich in diesem Sinne äußert. Damit würde Theresa May erstmals eine Zahl für die Begleichung der sogenannten Scheidungsrechnung nennen.

Die Brexit-Verhandlungen stecken zurzeit fest, weil es keine Fortschritte in drei Problembereichen gibt, deren Klärung die EU als notwendig erachtet, bevor überhaupt über ein künftiges Freihandelsabkommen geredet werden kann. Dazu gehören neben der Bezahlung der finanziellen Forderungen der Europäischen Union die Klärung der Bleiberechte von EU-Ausländern und die Gestaltung der Grenze zwischen Nordirland und Irland. Aber es ist in erster Linie der Streit ums Geld, der zur Blockade der dreimonatigen Gespräche geführt hat. Großbritannien hatte sich immer geweigert, über konkrete Zahlen zu verhandeln.

Nun also, und das berichten trotz des Abwiegelns aus der Downing Street übereinstimmend mehrere britische Medien, will sich May bewegen. Das Angebot von 20 Milliarden Euro bezieht sich darauf, dass Großbritannien während einer zweijährigen Übergangsphase nach erfolgtem Brexit im März 2019 weiterhin Zahlungen in den EU-Haushalt leisten will, weil man während des Übergangs auch weiterhin in der Zollunion verbleiben will. Für die EU wäre das eine große Erleichterung, denn es würde das Loch in der langfristigen Finanzplanung bis zum Jahr 2020 stopfen, das durch den Brexit entstünde.

Allerdings wären mit den 20 Milliarden Euro bei Weitem nicht alle Forderungen der EU erfüllt. Auf zwischen 60 und 100 Milliarden Euro wird die Summe für die Austrittsrechnung in Brüssel beziffert. Damit sollen Pensionsansprüche von EU-Beamten, langfristige Finanzzusagen, Kreditgarantien und andere Verbindlichkeiten, die Großbritannien eingegangen ist, abgegolten werden. Die britische Regierung hat sich bisher dazu geäußert, dass man seine "rechtlichen Verpflichtungen" erfüllen werde. Brexit-Minister David Davis deutete sogar an, dass man auch "moralische Verpflichtungen" akzeptieren könne. Somit wird die genaue Höhe der Scheidungsrechnung weiterhin Gegenstand der Verhandlungen bleiben. Aber Mays Eröffnungsgambit könnte das Verhandlungspatt auflösen und den Weg freimachen, um über die künftigen Handelsbeziehungen zu reden.

Bevor Theresa May ihr Angebot unterbreiten konnte, musste sie erst Frieden mit ihrem Außenminister Boris Johnson schließen. Der hatte am vergangenen Wochenende in einem Zeitungsartikel in einem kalkulierten Affront gegen May seine eigene Brexit-Vision vorgestellt und unter anderem bedeutet, nicht für den Zugang zum EU-Markt zahlen zu wollen. Nachdem Johnson mit der Drohung seines Rücktritts flirtete, lenkte er am Dienstag ein. Natürlich ziehe das Kabinett an einem Strang, gab er zu verstehen, er stehe hinter der Premierministerin, seine Ablehnung von Zahlungen an die EU beziehe sich auf die Zeit nach der Übergangsphase. Jetzt soll Johnson zusammen mit anderen Regierungsministern in Florenz in der ersten Reihe sitzen: Theresa May will demonstrieren, dass ihr Kabinett geeint hinter dem Brexit-Kurs steht.