London
Der nächste Schritt zum Brexit

Britisches Unterhaus billigt Austrittsgesetz Doch der Streit ist nur vertagt

12.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr

Er soll den EU-Austritt organisieren: Brexit-Minister David Davis gestern auf dem Weg zur Kabinettssitzung in London. - Foto: Leal-Olivas/AFP

London (DK) Am Ende gewann die Minderheitsregierung von Theresa May die Abstimmung einigermaßen bequem. In einer Marathonsitzung verabschiedete das britische Unterhaus in der Nacht zum Dienstag in zweiter Lesung das Gesetz über den Austritt aus der Europäischen Union mit 226 zu 190 Stimmen.

Die Abgeordneten der Konservativen Partei folgten der Weisung der Premierministerin, während sieben Mandatsträger der Labour-Partei gegen ihren Parteichef Jeremy Corbyn rebellierten und mit der Regierung stimmten. Damit wurde das Gesetz an die Ausschüsse verwiesen, wo der wirkliche Streit erst noch beginnen wird: Zahlreiche Torys haben ihrer Chefin May bedeutet, dass sie Änderungen am Gesetzentwurf für notwendig halten und diese zusammen mit Labour notfalls erzwingen wollen.

Das Austrittsgesetz schafft den "European Communities Act" ab, der im Jahre 1972 den britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft regelte und eingeführt hatte, dass europäisches Recht in Großbritannien gelten darf. Mit seiner Abschaffung will Theresa May den Briten signalisieren: Wir sind wieder unabhängig und unterstehen nicht mehr der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Für die Euro-Skeptiker im Land war das immer ein Glaubensartikel.

Paradoxerweise wird das Gesetz aber zunächst sämtliche EU-Vorschriften und Regelungen, den sogenannten Aquis Communautaire, in britisches Recht umwandeln. Dadurch sollen, so der Brexit-Minister David Davis, "Unternehmen, Arbeitern und Konsumenten die notwendige Sicherheit gegeben" und ein rechtsfreier Raum nach Austritt vermieden werden. In einem zweiten Schritt sollen dann nach und nach mehr als 12 000 Gesetze und Vorschriften durchforstet werden, um sie gegebenenfalls umzuschreiben oder zu streichen. An diesem Punkt ist Streit zu erwarten.

Denn die Regierung will festschreiben, dass Minister sogenannte "Heinrich-VIII-Vollmachten" bekommen. Dem Tudor-König wurde 1539 im "Statute of Proclamations" zugestanden, eigenmächtig durch Proklamierungen, also ohne Mitwirkung des Parlaments, Gesetze abändern zu können. Verständlich, dass Parlamentarier jetzt Sturm laufen gegen ein Vorhaben, das einige Abgeordnete schon Ermächtigungsgesetz nennen. Die Regierung argumentiert, dass es angesichts der Masse zu ändernder Verordnungen unabdingbar sei. Im übrigen sollen die Vollmachten, versprach Davis, zurückhaltend angewandt werden und nur für einen bestimmten Zeitraum gelten.

Für Labours Brexit-Sprecher Sir Keir Starmer waren diese Versicherungen nicht genug. Das Gesetz, sagte Starmer, "ist ein Affront für das Parlament und ein nackter Machtraub von Regierungsministern. Es lässt Rechte ungeschützt und knebelt das Parlament bei Schlüsselentscheidungen. Es wird den Brexit-Prozess unsicherer machen und zu Chaos und Spaltung führen, währen wir Einheit und Klarheit brauchen."

In der Sache pflichten ihm da zahlreiche Abgeordnete der Konservativen bei, wenn sie auch diesmal mit der Regierung stimmten. Torys wie Kenneth Clarke, Dominic Grieve oder Anna Soubry machten ihre weitere Unterstützung davon abhängig, dass die Regierung, wenn das Gesetz in die Ausschüsse gelangt, umfangreiche Änderungen zulässt. Ein Dutzend Konservative haben einen entsprechenden Brief an Theresa May schon unterschrieben. Das könnte angesichts der knappen Regierungsmehrheit durchaus ausreichen, um bei folgenden Abstimmungen eine Kursänderung zu erzwingen.