Ingolstadt
"Wir sind wie Soldaten"

Vahid M. geriet in die Fänge des iranischen Atomprogramms Er konnte fliehen und lebt heute in Bayern

01.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:21 Uhr

Ingolstadt (DK) Das ist die Geschichte eines Iraners, der in die Fänge der mächtigen Atombehörde des Landes geriet. Heute lebt er als Asylbewerber in Deutschland.

Das Unglück beginnt mit einem harmlosen Gespräch. Der iranische Unternehmer Vahid M. ist im Sommer 2004 auf dem Rückflug vom Urlaub in Dubai und unterhält sich mit seinem Sitznachbarn, ebenfalls einem Iraner. Der stellt sich als Chef der iranischen Raumfahrtbehörde vor und ist sehr interessiert an M.'s Tätigkeit - vor allem an dem Umstand, dass er auch Maschinen in den unter westlichen Embargomaßnahmen leidenden Iran importiert. Man tauscht Visitenkarten aus.

So erzählt Vahid M. heute den Beginn seiner Odyssee, die ihn schließlich als Asylbewerber nach Bayern führte. Der studierte Ingenieur ist ein überlegter, sehr ernster Mann in den 40-ern, einer, dem man abnimmt, dass er gerne die Dinge selbst in die Hand nimmt. Nachzuprüfen ist seine Geschichte nicht. Es gibt keine Unterlagen, keine Zeugen. So lässt sich nur die innere Stimmigkeit des Erzählten feststellen - und der Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen. Schließlich ist bekannt, dass die iranische Führung zumindest bis zum Atomvertrag im vergangenen Jahr mit allen Mitteln versuchte, ihr Atomprogramm voranzutreiben.

Einige Monate nach dem Gespräch im Flugzeug erhält Vahid M. jedenfalls einen Anruf seines Sitznachbarn. Man kommt, so erzählt er, ins Geschäft und er erhält eine lange Liste von Maschinen, die er besorgen soll - darunter CNC-Fräsmaschinen und Laser-Schneidemaschinen. Er beschafft in den folgenden Jahren einige Maschinen, in der Schweiz, in Armenien, in Asien. Und wird zunehmend misstrauisch: Denn immer wieder gibt es wegen fehlerhafter oder falscher Transportpapiere Probleme bei der Lieferung, immer wieder muss er deshalb seinen Kontaktmann in Teheran anrufen. Und der schafft es dann nach den Worten von Vahid M. irgendwie, dass die Maschinen doch in den Iran kommen. Aber immer laufen die Geschäfte auf den Namen seiner Firma. "Ich war verzweifelt", sagt M.

Das Fass zum Überlaufen bringt dann ein Auftrag, den der Unternehmer im Frühjahr 2011 telefonisch im Urlaub in Malaysia erhält. Er könne doch sicher ein Päckchen in seinem Reisegepäck mit zurück in den Iran nehmen, verlangt sein Kontaktmann. Vahid M. erhält nach seinen Angaben zwei Schachteln. Natürlich schaut er rein: Sie sind gefüllt mit kleinen Computerchips, Tausend vielleicht.

In Malaysia kommt er damit anstandslos durch den Zoll, doch bei der Einreise in Teheran gibt es Probleme. Wieder muss er seinen Kontaktmann anrufen. Ein Mann in Zivil kommt vorbei, zeigt den Zollbeamten seinen Ausweis, und das Problem ist keines mehr. Die Zollbeamten entschuldigen sich sogar.

M. will nun endgültig nicht mehr. Er ruft seinen Geschäftspartner an und kündigt die Zusammenarbeit auf. Doch der lässt das nicht gelten. "Besser, du arbeitest mit uns", habe er gesagt, erinnert sich der Unternehmer.

Zwei Tage später, so Vahid M., wird er von zwei Unbekannten aus dem Auto gezerrt. Gefesselt und mit verbundenen Augen bringt man ihn an einen Ort offenbar in der Umgebung Teherans und sperrt ihn in eine winzige Zelle. Er habe einmal am Tag zu Essen bekommen, sagt er - und nie eine Antwort auf seine Frage, warum er denn eingesperrt werde. Dafür hört er aus den Nachbarzellen Geräusche, als müsse dort jemand große Schmerzen erleiden. Nach zehn Tagen wird er freigelassen. "Du warst dieses Mal als Gast hier", sagt einer seiner Bewacher.

Noch am gleichen Tag, erinnert sich M., habe sein Kontaktmann angerufen und gefragt: "Hast du's dir überlegt" Der Mann habe sich schließlich als Mitarbeiter der iranischen Atomenergiebehörde zu erkennen gegeben und ihm erklärt, dass er keine Wahl habe. "Wir sind wie Soldaten", habe der Mann gesagt. Der Iran müsse sein Atomprogramm zu Ende bringen, und dafür werde M. gebraucht.

Gleichzeitig eröffnet ihm sein Kontaktmann, dass die mächtige Revolutionsgarde, die im Iran wie ein Staat im Staat agiert, wegen der Schachteln mit den Computerchips ein Verfahren wegen Spionage gegen ihn initiiert hat. Möglich, dass das nur ein zusätzliches Druckmittel ist. Aber vom Vorwurf der Spionage zum Todesurteil ist es im Iran nur ein kleiner Schritt. Spätestens jetzt hat der Geschäftsmann nur noch einen Gedanken: Er muss mit seiner Familie fliehen.

Vahid M. hat Geld und Beziehungen, das ist vermutlich sein Glück. Trotzdem ist seine Flucht aus dem Iran eine endlose, verwickelte Geschichte. Ein erster Anlauf scheitert, weil er in der Türkei nicht weiterkommt. Er kehrt zurück und lebt monatelang in der iranischen Provinz. Doch die Polizei ist ihm auf den Fersen, er versucht erneut auszureisen und wird an der Grenze verhaftet. Doch wieder, so erzählt M., kann er entkommen und taucht in Teheran unter. Im dritten Anlauf schafft er es schließlich: Mit einem Frachter kommen er und seine Frau im August 2013 in Hamburg an.

Heute lebt die kleine Familie in der Region Ingolstadt. Vahid M. und seine Frau haben Arbeit gefunden, sie haben eine Wohnung. Ihre Existenz im Iran haben sie verloren, ihr Asylantrag ist immer noch nicht entschieden. "Aber wir haben unser Leben gerettet - das ist das Wichtigste", sagt seine Frau.