Ingolstadt
"Es wird mehr links gebraucht"

Eva Bulling-Schröter nimmt nach 20 Jahren im Bundestag Abschied von Berlin und ist bereit für Neues

20.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Genießt die Freizeit mit ihrem Hund Chico: Eva Bulling-Schröter hat nach rund 20 Jahren im Bundestag Abschied von Berlin genommen. Doch die 61-Jährige schmiedet längst neue Pläne: Sie will 2018 für die Linke bei den bayerischen Landtagswahlen antreten. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Wir treffen uns zum Interview im Holler, einem inklusiven Café in Ingolstadt. Es ist das Lieblingslokal von Noch-Bundestagsabgeordneter Eva Bulling-Schröter, hier hat sie heuer auch ihren 61. Geburtstag gefeiert. Immer mit dabei: Mischlingshund Chico, der sogar schon der "Zeit" ein Interview gegeben hat, wie Frauchen erzählt. Eva Bulling-Schröter bestellt sich ein Stück Schwarzwälder-Kirschtorte, das sie im Eiltempo verspeist. In Ruhe essen zu können - auch daran muss sie sich erst wieder gewöhnen.

Frau Bulling-Schröter, Sie haben ihre Siebensachen in Berlin gepackt. Doch für die Linke sieht es nicht rosig aus: Bei der Bundestagswahl musste sie hohe Verluste im Osten hinnehmen, in Niedersachsen hat sie es nicht in den Landtag geschafft. Wo hakt es?

Eva Bulling-Schröter: Wir haben jetzt drei Abgeordnete aus Bayern mehr - das ist doch was! Wir haben deutlich zugelegt, auch bei den Mitgliedern: In Bayern sind es mehr als 3000. Darauf bin ich sehr stolz. Da hakt nichts. Das mit Niedersachsen ist sicher schade. Wir müssen in der Fläche stärker werden. Natürlich gibt es auch von außen Ursachen: Wenn die SPD sagt, sie will nichts mit uns zu tun haben, dann wirkt das natürlich. Sie hat Wahlkampf gegen uns gemacht.

 

Jetzt ist auch noch ein Machtkampf an der Spitze entbrannt. Hat die Linke interne Konflikte zu lange unter den Teppich gekehrt?

Bulling-Schröter: Die Linke ist eine demokratische Partei, und da gibt es zwangsläufig Konflikte. Wir sollten diese aber nicht über die Medien austragen. So etwas nervt mich. Wir sind gewählt, um für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, und darauf sollten wir uns konzentrieren. Da gibt es viel Handlungsbedarf.

 

Erleichtert das Ihnen den Abschied von Berlin?

Bulling-Schröter: Meine Entscheidung hat damit nichts zu tun. Es ist ja noch nicht ganz zu Ende: Ich werde im November gemeinsam mit Bärbel Höhn zur Klimakonferenz nach Bonn fahren und die deutsche Parlamentarierdelegation unterstützen. Und ich meine, dass hier in Bayern und auch vor Ort viel zu tun ist - es wird mehr links gebraucht. Dafür werde ich Ansprechpartnerin sein.

 

Stichwort Klimaschutz: Das war ja Ihr großes Anliegen. Was war der größte Erfolg, was war der größte Rückschlag in Ihrer Zeit als Parlamentarierin?

Bulling-Schröter: Der größte Erfolg, so denke ich, war das Pariser Klimaschutzabkommen. Leider ist es ja nicht verbindlich. Aber ich denke, darauf kann man aufbauen. Auch die Zivilgesellschaft muss viel, viel mehr tun, um Länder dahin zu bringen, etwas für den Klimaschutz zu tun. Der Rückschlag war, als jetzt, kurz vor Ende der Legislatur, die neusten Zahlen aus Deutschland zur CO2-Einsparung bekannt wurden. Wir liegen erst bei 27 Prozent, und wir müssen 40 Prozent schaffen bis 2020. Wenn nichts Wesentliches getan wird, werden wir das Ziel krachend verfehlen. Der CO2-Ausstoß ist im letzten Jahr sogar wieder gestiegen. Das ist ein Versagen deutscher Politik und tut mir auch persönlich wahnsinnig weh. Denn Deutschland wollte ja Vorreiter sein.

 

Glauben Sie, dass es mit Jamaika besser laufen wird?

Bulling-Schröter: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Denn die FDP setzt ja auf die sogenannte Marktwirtschaft und den Emissionshandel. Der funktioniert aber seit Jahren nicht und wird das Klima nicht retten. Die FDP will auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen, sie bekämpft letztlich die Energiewende. Das ist fatal. Wir brauchen mehr regenerative Energien, um die Klimaziele zu erreichen. Die Blockierer von heute sind wie Dinosaurier und werden sehen: Die Kosten für Klimaschäden steigen immer mehr. Auch bei uns in Deutschland gibt es immer mehr Großwetterereignisse oder Missernten - auch in Bayern. Ein Mitarbeiter hat erzählt, wie er neulich bei dem Sturm in Berlin eine alte Frau aufgefangen hat, die durch die Luft flog. Mir tun die künftigen Generationen leid, weil hier Zukunft verspielt wird.

 

Wenn man Sie so reden hört, wirkt es, als wollten Sie doch wieder in den Bundestag. Aber Sie haben ja andere Pläne...

Bulling-Schröter: 20 Jahre sind wirklich genug. Wenn man geht und alle das bedauern, dann kann es nicht so falsch sein, was man all die Jahre gemacht hat. Es kann ja auch der Moment kommen, da fragen alle: Wann geht sie endlich? So wie bei Seehofer. Außerdem will ich etwas Neues machen: Ich möchte für den Landtag kandidieren. Das stelle ich mir spannend vor.

 

Wie ist denn Ihre Einstellung zu einem möglichen Nationalpark Donau-Auen?

Bulling-Schröter: Ich denke, Bayern braucht nicht zwei, sondern mindestens vier Nationalparks - und einer muss der Nationalpark Donau-Auen sein. Denn es gibt große Chancen: Erstens brauchen Menschen mehr Grün und Erlebnis in der Natur, um sich von ihrem anstrengenden Alltag zu erholen. Dieser Nationalpark kann ein touristischer Schwerpunkt werden: weiche Standortfaktoren sind auch wichtig - gerade in der Audi-Stadt Ingolstadt und Umgebung.

 

Haben Sie Verständnis für die Bedenken der Landwirte, Jäger oder Waldbauern?

Bulling-Schröter: Ich habe Verständnis, aber ich weiß, dass vieles geklärt werden kann bei den Nutzungsbedingungen. Aber sofort zu sagen: Nein, wir wollen das nicht, finde ich sehr, sehr schade.

 

Das reiche Ingolstadt ist AfD-Hochburg geworden. Wie erklären Sie sich dies?

Bulling-Schröter: In Ingolstadt gibt es nicht nur Gutverdienende, sondern auch Menschen, die eine bezahlbare Wohnung suchen, die Angst haben vor Altersarmut und das Demokratiedefizit sehen. Sie glauben, dass sich die AfD für sie einsetzen würde. Wer das AfD-Parteiprogramm liest, der weiß aber, dass diese Menschen genau die Partei gewählt haben, die sich nicht für sie einsetzen wird.

 

Warum hat die Linke nicht diese Menschen gewinnen können?

Bulling-Schröter: Wir Linken sind in Bayern noch zu wenige, obwohl wir in letzter Zeit viele Neumitglieder begrüßen konnten. Wir müssen den Leuten besser vermitteln, was wir wirklich wollen, nämlich Reichtum anders verteilen, das Asylrecht erhalten und Fluchtgründe wirklich bekämpfen. Und wir wollen, dass die Schwachen nicht gegen noch Schwächere ausgespielt werden. Das ist der große Unterschied.

 

Das Interview führte

Suzanne Schattenhofer.