Herr
Minister hofft auf zehn Milliarden Euro aus europäischen Fonds

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) setzt auf ein Winterhilfspaket für Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und in der Türkei

15.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:48 Uhr

Herr Minister Müller, Europas Innen- und Justizminister können sich nicht einmal auf die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen verständigen. Wie finden Sie das

Gerd Müller: Die brüchige Solidarität in Europa ist leider bittere Realität. Das wird diejenigen, die für Humanität und Verantwortung stehen, nicht davon abhalten, in Eigeninitiative einen größeren Beitrag zu leisten. Wir Deutschen sind hier vorausgegangen. Wenn es an europäischer Solidarität mangelt, muss jetzt jeder an seiner Stelle die Herausforderung meistern. Wenn Brüssel es nicht schafft, dann müssen wir das selber koordinieren. Wir können uns nicht von einigen osteuropäischen Staaten blockieren lassen, die sich dieser Solidarität nicht anschließen wollen. Das Zeichen an die Flüchtlinge muss jetzt sein: Ihr könnt nicht alle zu uns kommen, aber wir kommen zu euch und helfen euch.

Was muss kurzfristig geschehen?

Müller: Ich schlage vor, zehn Milliarden Euro aus dem europäischen Entwicklungsfonds, dem für Nachbarschaftshilfe und anderen Fonds zu nehmen und damit sofort zu helfen. Fünf Milliarden Euro im Süden der EU, in den Ländern, in denen Flüchtlinge ankommen, und fünf Milliarden in den Krisenregionen. Wir brauchen jetzt ein Winterhilfspaket für die Flüchtlinge im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. EU-Kommissionschef Juncker kann dies sofort vorschlagen, und die Staats- und Regierungschefs der EU müssen dem nur zustimmen. Das wäre ein großer Schritt. Es ist zynisch, dass das Welternährungsprogramm aktuell nur zu 50 Prozent finanziert ist und zuletzt 250 000 Menschen aus der Grundversorgung genommen worden sind und die Nahrungsmittelrationen für Babys gekürzt werden. Menschen kämpfen ums Überleben, und wir hier in Europa sind nicht in der Lage, die Grundversorgung zu leisten. Da ist es kein Wunder, dass sich die Menschen zu uns auf den Weg machen. Lösen wir Probleme wie Hunger, Armut und Not nicht vor Ort im Mittleren und Nahen Osten, dann kommen sie zu uns. Die Versorgung eines Flüchtlings in Deutschland kostet zwanzigmal so viel wie im Libanon oder in Jordanien.

Erst die Einreiserlaubnis für tausende Flüchtlinge aus Ungarn und die Botschaft der Kanzlerin, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, dann die Wende und die Einführung von Grenzkontrollen: War der Zickzackkurs ein Fehler?

Müller: Es war richtig, dieses Stoppsignal zu senden. Wir müssen wieder zurück zu Recht und Ordnung. Es gibt auch Grenzen der Aufnahmekapazität. Nicht nur in Bayern sind die Kommunen an einem Punkt angekommen, wo nicht mehr möglich ist. Das Signal kann nicht sein, alle können hierherkommen. 95 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien sind noch in der Region in den Flüchtlingscamps und in den umkämpften Gebieten. Das sind weitere zwölf Millionen, die sich auf den Weg machen könnten. Das können wir nicht schaffen.

CSU-Chef Horst Seehofer will enger mit dem umstrittenen ungarischen Regierungschef Viktor Orban zusammenarbeiten. Eine gute Idee?

Müller: Wir müssen Ungarn helfen, zehntausende von Flüchtlingen, die über die Balkanroute kommen, zu integrieren und die Probleme zu lösen. Es hilft nichts, mit dem Finger auf das Land zu zeigen. Wir müssen mit Ungarn zusammenarbeiten.

Das Gespräch führte

Andreas Herholz (DK).

Foto: Jutrczenka/dpa