Herr
"Aus humanitärer Sicht eine Katastrophe"

Sea-Eye-Gründer Hans-Peter Buschheuer über den Stopp der Flüchtlingsrettung

14.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:38 Uhr

Herr Buschheuer, Ihre Seenotrettungsorganisation Sea-Eye und andere ziehen ihre Schiffe von der libyschen Küste ab. Warum unterbrechen sie die Bergung von schiffbrüchigen Flüchtlingen

Hans-Peter Buschheuer: Die libysche Küstenwache hat am Wochenende eigenmächtig die Zone erweitert, in die Schiffe ohne ihre Erlaubnis nicht einfahren dürfen. Das gilt jetzt bis zu 90 Seemeilen vor der libyschen Küste. Gleichzeitig wurde den Helfern und Rettern der Nichtregierungsorganisationen mit Konsequenzen gedroht, falls sie einfahren würden. Unsere Crews an Bord wären ungeschützt. Dieses Risiko können wir natürlich nicht eingehen und diese Verantwortung nicht übernehmen. Da werden Leib und Leben bedroht. Die Ausweitung der libyschen Hoheitsgewässer verstößt gegen das internationale Seerecht. Die anderen Länder nehmen das einfach hin.

Hat es in der Vergangenheit Vorkommnisse mit der Küstenwache gegeben?

Buschheuer: In der Vergangenheit hat es etliche Vorkommnisse gegeben. Eines unserer Schnellboote ist gekapert und beschlagnahmt worden. Vier unserer Mitarbeiter waren von der libyschen Küstenwache vier Tage lang in Haft genommen worden und sind erst auf Druck des Auswärtigen Amtes wieder freigekommen. Auf Helfer anderer NGOs wurden Schüsse abgefeuert. Sogar auf unbewaffnete Flüchtlingsboote wurde geschossen. Wir werden aus Sicherheitsgründen nicht mehr in dieses Seegebiet fahren.

Heißt das, der Einsatz ist für Ihre Organisation beendet?

Buschheuer: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir haben den Einsatz unterbrochen und bleiben Stand by. Eines unserer Schiffe ist im Heimathafen in Malta, das andere in Tunesien. In der Vergangenheit sind wir unter dem Schutz der Operation Sofia gefahren. Italiener und deutsche Marine haben uns quasi unsichtbaren Geleitschutz gegeben. Allein wegen ihrer Anwesenheit haben Schleuser und Libyer bisher davon abgesehen, gegen uns vorzugehen. Diesen Schutz gibt es nicht mehr. Für uns ist es immer schwieriger geworden, zu helfen und Leben zu retten. Die Italiener machen gemeinsame Sache mit der libyschen Küstenwache und fahren dort selbst Patrouille. Wir können dort nicht mehr operieren, ohne uns zu gefährden. Es wird jetzt erfolgreich verhindert, dass die Menschen aufs Wasser gehen und die Flucht wagen. Das bedeutet natürlich auch, dass weniger Menschen ertrinken. Das ist prinzipiell gut. Schließlich ist das auch unser humanitäres Anliegen. Aber es stellt sich die Frage, wie es den Menschen geht, wenn sie nach Libyen zurückgeführt werden. Sämtliche UN-Organisationen und auch die humanitären Organisationen dort im Einsatz berichten von katastrophalen Verhältnissen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Treffen mit dem UN-Flüchtlingskommissar mehr finanzielle Hilfen für die UN-Helfer vor Ort zugesichert . . .

Buschheuer: Das ist natürlich nicht falsch. Aber das wird nicht viel an den Verhältnissen in Libyen ändern. Der Kanzlerin und ihrer Regierung ist bekannt, wie es in den Lagern in Libyen steht. Das Auswärtige Amt spricht in seinen Berichten von KZ-ähnlichen Verhältnissen. Ob man mit 50 Millionen Euro für die UN-Helfer die humanitäre Lage wirklich verbessern kann, wage ich zu bezweifeln. Man kann nur hoffen, dass es besser wird.

Was steckt hinter dem neuen Kurs der libyschen Küstenwache und der Italiener?

Buschheuer: Man will keine Lebensretter mehr vor Ort haben. Es soll ein Signal der Abschreckung geben. Aus Sicht der Regierungen ist das nachvollziehbar. Aus humanitärer Sicht ist es eine Katastrophe.

Italien beklagt die mangelnde Solidarität der europäischen Partner bei der Aufnahme von Flüchtlingen und warnt vor einer neuen Flüchtlingswelle über das Mittelmeer. Müssen wir mit einer neuen Flüchtlingskrise rechnen?

Buschheuer: Es ist absurd zu glauben, man könne Menschen von der Flucht abhalten. Das gelingt nicht mit Mauern und auch nicht mit der Küstenwacht. Die Menschen werden sich andere Wege suchen, die womöglich noch gefährlicher sind. Damit muss man leider rechnen. Die Fluchtursachen müssen bekämpft werden, damit Flucht nicht mehr notwendig ist. Aber das wäre ein Traum.

Der Regensburger Hans-Peter Buschheuer ist Gründer der privaten Seenotrettungsorganisation Sea-Eye. Mit ihren beiden Schiffen "Sea-Eye" und "Seefuchs" hat die Gruppe seit dem vergangenen Jahr nach eigenen Angaben rund 12 000 Menschen vor der libyschen Küste gerettet.

Die Fragen stellte

Andreas Herholz.

Foto: sea-eye.org