Gütersloh
Die Schere klafft auseinander

Während die Kommunen im Süden Überschüsse melden, droht im Westen der Kollaps

09.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:40 Uhr

Gütersloh (DK) Milliardenplus für die Kommunen, Rekordeinnahmen für Städte und Gemeinden. Doch gibt es nicht nur Licht, sondern trotz der satten Überschüsse auch jede Menge Schatten, wie der Kommunale Finanzreport 2017 der Bertelsmann-Stiftung zeigt. "Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen schließt sich nicht, sondern geht auseinander", erklärte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, gegenüber unseren Berliner Korrespondenten. Jede fünfte Kommune stecke in der Haushaltskrise, bekräftigten die Experten.

Zwar können sich Städte und Gemeinden angesichts der guten wirtschaftlichen Lage und hoher Steuereinnahmen über ein Plus von 4,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr und damit den besten Haushaltsabschluss seit acht Jahren freuen. Während die Einnahmen um sechs Prozent gestiegen seien, hätten sich die Ausgaben nur um fünf Prozent erhöht, so die Autoren der Studie. Doch sieht es vielerorts nicht rosig aus.

Musterschüler sind Baden-Württemberg und vor allem Bayern. Die Kommunen im Freistaat haben im bundesweiten Vergleich die mit Abstand beste Finanzlage. Mit einem Plus von 1,9 Milliarden Euro haben die Kommunen zudem das mit Abstand beste Ergebnis erreicht. Seit 2011 erzielten die Kreise und Gemeinden gar Haushaltsüberschüsse von mehr als acht Milliarden Euro. Im Vergleich mit allen anderen Bundesländern liegt Bayern damit weiterhin unangefochten an der Spitze.

Die Sorgenkinder sind NRW und Rheinland-Pfalz. Auch die Kommunen in Schleswig-Holstein, dem Saarland und Sachsen-Anhalt häufen Schulden an. "Die schwachen Kommunen fallen weiter zurück", erklärte Kirsten Witte, Kommunalexpertin bei der Bertelsmann-Stiftung. Beispielsweise hat Rheinland-Pfalz 7,1 Milliarden Euro Kassenkredite, was pro Einwohner 1795 Euro Schulden entspricht. In Baden-Württemberg sind es dagegen nur 320 Millionen Euro Kredite und somit lediglich 18 Euro pro Einwohner. Und ganz oben bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt das kleine Saarland (3733 Euro).

Während die finanzstarken Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg kräftig investieren können, wissen viele Städte, Gemeinde und Kreise in NRW häufig nicht, wie sie überhaupt ihre ureigensten Aufgaben erfüllen und Rechnungen begleichen sollen. "Allein die Stadt Essen führt mehr als doppelt so hohe Kassenkredite wie alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen", erklärte René Geißler, Finanzexperte der Bertelsmann-Stiftung. Mit zwei Milliarden Euro Kassenkrediten liegt Essen ganz vorn bei der Verschuldung.

Laut Finanzbericht droht eine gefährliche Abwärtsspirale: Wer bereits stark verschuldet ist, hat es besonders schwer. Finanzschwache Kommunen blieben schwach und entfernten sich immer weiter vom bundesweiten Durchschnitt, warnt der Bericht. Die Schuldenfalle droht. Der Schuldenberg der Kommunen wächst, die Höhe der Kassenkredite habe sich im Zeitraum von 2005 bis 2015 auf 50 Milliarden Euro verdoppelt, so die Analyse. Kassenkredite nehmen viele Kommunen zur kurzfristigen Finanzierung aktueller Ausgaben auf, ähnlich wie Privatleute Dispokredite. Hohe Kosten gibt es vor allem bei den immer weiter steigenden Sozialausgaben mit einem Plus von 9 Prozent, und den Kosten für Personal mit einem von Plus 3 Prozent.

In Bayern sind Kassenkredite kein Thema. Der wichtigste Krisenindikator spielt der Studie zufolge keine Rolle in Bayern. Landesweit stehen gerade einmal rund 200 Millionen Euro zu Buche, was einem Wert von 15 Euro je Einwohner entspricht. Nur in Baden-Württemberg haben die Kommunen noch weniger Kassenkredite (10 Euro). Mit 229 Euro je Einwohner lag Rosenheim zwar an der Spitze, der bayerische Höchstwert machte aber nur etwa ein Drittel des bundesdeutschen Durchschnitts aus.

Der Städte- und Gemeindebund fordert jetzt von Bund und Ländern stärkere Hilfen für die Kommunen, schlägt einen Altschuldenfonds in zweistelliger Milliardenhöhe vor, um besonders belastete Kommunen von ihren Verbindlichkeiten zu befreien. "Wir brauchen einen Altschuldenfonds von Bund und Ländern. Das muss mit einer Verpflichtung der verschuldeten Kommunen verbunden sein, die Konsolidierung weiter voranzubringen und vernünftig zu haushalten", so Landsberg gegenüber unserer Berliner Redaktion. ‹ŒKommentar Seite 2