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"Wir brauchen klare Regeln"

16.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:48 Uhr

Ingolstadt (dk) Im Interview mit dem DONAUKURIER pocht Bayern Ministerpräsident Horst Seehofer auf "Ordnung und System" in der Flüchtlingspolitik.

Herr Seehofer, nach den Bund-Länder-Verhandlungen am Dienstagabend im Kanzleramt: Wie groß ist Ihre Hoffnung auf Entlastung in der Flüchtlingskrise?
 
Horst Seehofer: Beim Treffen der 16 Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin am Dienstagabend haben wir hier einen Anfang gemacht. Es ist viel guter Wille da. Aber diese Herausforderung ist höchst schwierig. Wir kommen langsam voran. In der europäischen Flüchtlingspolitik sind zuletzt keinerlei Regeln mehr befolgt worden. Es gab keine Ordnung mehr und kein System. Jetzt geht es erst einmal darum, die Ordnung wieder herzustellen. Wir brauchten eine Atempause. Das war der Grund für die Wiedereinführung der Grenzkontrollen. Wir brauchen klare Regeln in der Flüchtlingspolitik, in Deutschland wie in Europa.

 

Aber wir haben doch Regeln wie das Schengener und das Dubliner Abkommen.

Seehofer: Die Regeln sind faktisch außer Kraft gesetzt worden. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Die Flüchtlingsaufnahme und die Verfahren müssen an den Außengrenzen Europas stattfinden. Es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge völlig unkontrolliert und nicht registriert in unser Land kommen. Das ist ein Bruch europäischen Rechts. Der ist nicht hinnehmbar.

 

Sie haben die Kanzlerin dafür verantwortlich gemacht und ihr Fehler vorgeworfen . . .

Seehofer: Ich schaue jetzt nicht mehr zurück und mache keine Schuldzuweisungen. Ich bin froh, dass dies nicht zuletzt durch mein Eingreifen beendet ist und sich jetzt alle einig sind: Wir müssen wieder ein System in das Ganze bringen. Ein Rechtsstaat muss schon dafür sorgen, dass seine Regeln eingehalten werden. Wenn es weiterhin offene Grenzen und einen ungebremsten Zustrom gegeben hätte, wäre ein Notstand eingetreten.

 

Die Kanzlerin sagt, das deutsche Asylrecht kenne keine Obergrenze.

Seehofer: Anspruch auf Asyl haben nur Schutzbedürftige. Asylbewerber müssen glaubhaft darlegen können, dass sie wegen ihrer politischen Einstellung oder ihrer religiösen Überzeugung um ihr Leben fürchten müssen. Es gibt eine große Zahl von Flüchtlingen, auf die dies nicht zutrifft. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Asylrecht nicht von Menschen missbraucht wird, die aus sicheren Staaten kommen und keine Bleibeperspektive haben. Schließlich müssen wir viel stärker die Fluchtursachen bekämpfen, damit die Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben und dort eine Perspektive haben. Jetzt zählen nicht mehr schöne Worte, sondern nur noch Taten.

 

Herr Seehofer, muss man sich jetzt noch dafür entschuldigen, wenn man in Notsituationen ein freundliches Gesicht gegenüber Flüchtlingen zeigt?

Seehofer: Wir sollten jetzt aus einem singulären Vorgang keinen Grundsatzstreit machen. Aber wenn Sie die Äußerung der Bundeskanzlerin ansprechen: Ich hätte am vorletzten Wochenende natürlich nicht die Entscheidung getroffen, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. Ich bleibe dabei: Das war ein Fehler, der sich nicht wiederholen darf. Ich neige nicht zu Rechthaberei. Jeder hat gesehen, in welcher Lage unser Land war und wie notwendig die Grenzkontrollen sind. Mein Eintreten für eine Begrenzung war berechtigt. Wenn erneut Notsituationen eintreten sollten, muss man sich zusammensetzen und neu entscheiden. Jetzt müssen wir schnell das Maßnahmenpaket umsetzen. Dazu gehören die Beschleunigung der Asylverfahren, schnelle Rückführung von Ausreisepflichtigen, Ausweisung weiterer sicherer Herkunftsstaaten, Bereitstellung von Wohnraum, Leistungskürzungen, die Einführung von Sachleistungen statt Bargeld und nicht zuletzt eine schnelle Integration.

 

Angela Merkel hat noch einmal bekräftigt: „Wir schaffen das!“ Das werde sie auch immer wieder so sagen. Schafft Deutschland es wirklich?

Seehofer: Die Bundeskanzlerin sagt aus Überzeugung: Wir schaffen das! Aber wir schaffen es eben nur, wenn wir es richtig machen. Davon sind wir noch weit entfernt. Deshalb sind der Flüchtlingsgipfel in Berlin und der Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in der nächsten Woche so wichtig.

 

Wenn es Flüchtlinge aus Syrien bis an die ungarische Grenze geschafft haben: Lassen sie sich durch Stacheldraht wirklich aufhalten?

Seehofer: Das werden wir sehr genau beobachten. Natürlich werden die Schleuser Alternativrouten suchen. Blauäugig bin weder ich noch Herr Orban in Ungarn. Wir müssen uns besser um die Situation der Flüchtlinge in Asien, Europa, Afrika und dem Nahen Osten kümmern. Wenn wir jetzt nichts tun, werden sich die Flüchtlingslager von dort nach und nach zu uns nach Deutschland verlagern. In den Lagern wird zum Teil die Botschaft verbreitet: Die Deutschen wollen, dass ihr kommt!

 

Sie treffen sich am kommenden Mittwoch mit Ungarns Premier Viktor Orban. Ist er eher Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Seehofer: Aus großer Entfernung lässt sich immer leicht urteilen. Ich will mit ihm sprechen. Er hat mir versichert, dass er wieder die Einhaltung des europäischen Rechts durchsetzen möchte. Wir sollten am Dublin-Abkommen festhalten. Danach werden Asylverfahren dort durchgeführt, wo ein Flüchtling Europa betritt. Was wäre, wenn Ungarn die Außengrenzen der EU nicht sichern würde?

 

Ist Orban ein lupenreiner Demokrat?

Seehofer: Wir sollten Viktor Orban nicht verteufeln, sondern mit ihm sprechen. Die Menschen in Ungarn haben ihn mehrmals gewählt. Sein Land ist Mitglied der Europäischen Union. Nicht alles, was er sagt, ist richtig. Aber es wäre falsch, mit pauschalen Vorurteilen über ihn herzufallen. Er hat gegen Kommunisten und Diktatoren gekämpft, als bei uns noch manche bequem im Wohnzimmersessel gesessen haben.

 

Wie wollen Sie die europäischen Partner dazu bringen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen?

Seehofer: Ich setze auf die Kraft der Argumente. Es wäre schon ein Erfolg, wenn eine Gruppe einiger starker EU-Partner hier vorangeht und mehr Flüchtlinge aufnimmt. Andere werden dann nachziehen. Frankreich nimmt gerade einmal so viele Flüchtlinge auf wie bei uns ein Landkreis im Allgäu. Das verstehen die Menschen nicht mehr. Das ist egoistisch. Wenn es schwierig wird, gibt es in Europa keine Solidarität mehr. Das Thema wird uns noch Jahre beschäftigen. Deutschland allein kann die Folgen dieser Völkerwanderung nicht bewältigen. Hier sind Europa und die Welt gefordert. Europa muss klotzen, nicht kleckern, und seiner großen Verantwortung endlich gerecht werden. Wir stehen vor einer humanitären Herausforderung von weltpolitischem Rang. Und die EU-Partner erfüllen ihre Aufgaben derzeit nicht. Der EU-Sondergipfel in der kommenden Woche sollte ein Zeichen setzen und zehn Milliarden Euro für die Hilfe in den EU-Staaten an den Außengrenzen und in den Krisengebieten im Nahen und Mittleren Osten bereitstellen. Es geht um eine weitaus größere Herausforderung als die Euro-Rettung.

 

Die Fragen stellte unser

Korrespondent Andreas Herholz.