Berlin
Unbequemer Gast, vertrauter Nachbar

Der Besuch des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz in Berlin verdeutlicht das angespannte Verhältnis zwischen Wien und Berlin

17.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

Berlin (DK) Die Begrüßung ist recht klassisch: "Herzlich willkommen", sagt Angela Merkel. Doch wirklich herzlich ist es zwischen ihr und ihrem Gast aus Wien gestern im Bundeskanzleramt nicht. Freundliche Worte zwar vor den Kameras, doch hinter verschlossenen Türen habe man Klartext geredet, heißt es. "Geschätzte Frau Kanzlerin", schmeichelt Sebastian Kurz zur Begrüßung und lobt die enge und starke Verbundenheit. Österreichs junger Bundeskanzler startet in Berlin seine Charmeoffensive.

Plötzlich redet Kurz nur noch freundlich über Merkel. Von einem Riss im Verhältnis und abgekühlten Beziehungen könne keine Rede sein, hatte er schon vor seiner Anreise wissen lassen und betont dies auch noch einmal vor der Hauptstadtpresse nach seinem "guten Gespräch" mit der Kanzlerin, über das er sich sehr gefreut habe. Österreich und Deutschland seien nicht nur gute Nachbarn, sondern auch wichtige Partner. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Alpenrepublik. So hätten im vergangenen Jahr 13 Millionen Deutsche ihren Urlaub im Tourismusland Österreich verbracht. Ganz plötzlich sind sie sich scheinbar einig, ziehen sogar in der Flüchtlingspolitik an einem Strang. Illegale Migration nach Europa wollen sie reduzieren und die Außengrenzen der EU besser sichern. Kurz will weniger über die Verteilung von Flüchtlingen nach einer Quote reden, sondern über die Sicherung der EU-Grenzen. Der junge Kanzler untermauert seine Forderung: "Ein funktionierender Außengrenzenschutz ist die Basis für ein Europa ohne Grenzen nach innen", sagt der ÖVP-Chef.

Lange hat der neue österreichische Regierungschef auf sich warten lassen, kommt erst einen Monat nach seinem Amtsantritt zum Antrittsbesuch nach Berlin. Eigentlich war nur eine Stunde dafür vorgesehen, doch dauert das erste Kennenlernen dann neunzig Minuten. "Wenig Trennendes" habe man gefunden, sagt Merkel und kann sich dann doch einen Seitenhieb nicht verkneifen: Gestaunt habe sie, dass Österreich - nachdem es Deutschland gelehrt habe, was eine Maut ist - jetzt beim Europäischen Gerichtshof gegen die deutsche Pkw-Maut klage. Die Maut als Stimmungskiller? Der Gast aus Wien reagiert betont gelassen. Unter Nachbarn und Freunden sei es auch legitim, in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Positionen zu haben.

"Wir werden die neue österreichische Regierung an ihren Taten messen", sagt Merkel, und es klingt ein wenig wie eine Drohung. Dass ÖVP-Chef Kurz mit der rechtsnationalen FPÖ ein Bündnis gebildet hat, stößt in Berlin auf Kritik. Er sei froh, dass "wir in Österreich eine stabile Regierung haben", kann sich auch der Gast aus Wien einen Seitenhieb in Richtung der nur noch geschäftsführenden Kanzlerin mit Blick auf die stockende Regierungsbildung nicht verkneifen.

Kaum ein europäischer Spitzenpolitiker lag in den vergangenen zwei Jahren wohl so über Kreuz mit Merkel wie Kurz. Als Außenminister hatte der heutige Bundeskanzler gegen Merkels Flüchtlingspolitik mobil gemacht, sie immer wieder wegen ihrer "Willkommenspolitik" und des Kurses der offenen Grenzen attackiert. Er war es, der sich gegen den Willen der Kanzlerin erfolgreich für die Schließung der Balkanroute stark gemacht hatte, noch bevor das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei unter Dach und Fach war. Kurz schärfte damals sein Profil als entschlossener Konservativer, ebnete mit seinem Anti-Merkel-Kurs den Weg zu seinem Wahlsieg. Dabei war es 2015 der frühere österreichische Kanzler Feymann, der seine Kollegin in Berlin gedrängt haben soll, die Grenze zu öffnen und die Flüchtlinge aus Budapest aufzunehmen.