Berlin
"Speed-Dating" soll Weg für Jamaika-Koalition ebnen

Sondierungsgespräche in entscheidender Phase Grüne verlangen Kompromissbereitschaft von Union

13.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:13 Uhr

Berlin (DK) Die "Jamaikaner" drücken aufs Tempo. Die Zeit drängt. Donnerstagabend, spätestens Freitagnacht soll klar sein, ob das Experiment einer schwarz-gelb-grünen Regierungskoalition wirklich gewagt werden soll. Die heiße Phase der Sondierungen hat begonnen. "Es gibt noch viel zu tun in dieser Woche. Einige Baustellen sind noch nicht abgeschlossen. Aber mit gutem Willen kann Jamaika gelingen", gibt sich Volker Kauder (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion vorsichtig optimistisch - obwohl in Schlüsselfragen vom Klimaschutz bis zur Migration noch keine Kompromisse zu erkennen sind.

Das "Beichtstuhlverfahren" soll jetzt dort Bewegung bringen, wo die Gespräche haken. Die Chefunterhändler von Union, FDP und Grünen lassen bitten, prüfen in kleiner "Sechs-Plus-Vier-Runde" mit den Fachleuten, wo man abschließen kann, wo man weiter auseinanderliegt. Da werden die Themen Klimaschutz, Energie, Umwelt, Bildung und Forschung und Kommunen und der Wohnungsbau im Stundentakt aufgerufen. "Speed-Dating" in der noblen Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. "Es wurde wirklich hart gearbeitet", so CSU-Parteichef Horst Seehofer. Es seien "eckige Klammern" abgebaut, "aber auch einige beibehalten" worden, sagt er mit Blick auf noch strittige Passagen, die in den Papieren in eckigen Klammern stehen. "Wir sind jetzt runter vom Balkon und rein in den Maschinenraum", erklärt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Für die FDP und die Grünen ist klar, was notwendig ist, um den Motor in Schwung zu bringen: Bewegung bei der Union, insbesondere bei der CSU. Doch danach sah es auch gestern nicht aus, im Gegenteil: "Das, was wir aufgeschrieben haben, liegt auf dem Tisch, wir werden das so umsetzen", pocht Dobrindt mit Blick auf die Flüchtlingspolitik auf 100 Prozent CSU. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wirft ihm daraufhin "zerstörerische Querschüsse" vor. Dabei hatte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn beim Streitthema Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte Kompromissbereitschaft signalisiert: "Wer legal ins Land kommt, sich anpasst, Deutsch lernt, Arbeit hat und so beweist, dass er Teil dieser Gesellschaft sein will, soll auch dauerhaft bleiben dürfen und erleichtert die Möglichkeit zum Familiennachzug erhalten." Doch das war wohl nur eine Finte. Kauder stellte jedenfalls im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion klar: "Für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus kann es keinen Anspruch auf Familiennachzug geben." Auch beim Klimaschutz gibt es nur Trippelschritte. So zeigten sich Union und FDP bereit, die zehn schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten - die Grünen fordern doppelt so viele. "Das, was da auf dem Tisch liegt, das reicht den Grünen nicht", stellte Parteichefin Simone Peter klar.

Auch nach sieben Stunden Verhandlung am Sonntagabend in der Landesvertretung Baden-Württemberg war es den Parteichefs und ihren Experten nicht gelungen, sich auf einen Finanzrahmen zu verständigen. Allein die von der FDP geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlages würde das geschätzte Finanzpolster von 30 Milliarden Euro bereits ausreizen. Und von Steuererhöhungen für Besserverdiener will die Union nichts wissen.

Spätestens in der Nacht zum Freitag sollen die Beratungen abgeschlossen werden. Kommt es zur "Nacht der langen Messer"? Oder scheitert Jamaika noch auf der Zielgeraden? Das Endspiel der Sondierungen wird auf jeden Fall in die Verlängerung gehen. Und das Ergebnis muss für alle Parteien vorzeigbar sein, sonst bleibt das grüne Licht der Basis oder der Parteitage für den Start von Koalitionsverhandlungen aus. "Alle am Verhandlungstisch wissen genau, dass eine Neuwahl zu keinem wesentlich anderen Ergebnis führen würde. Da wären keine signifikanten Verschiebungen zu erwarten", warnt Unions-Fraktionschef Kauder vor dem Abbruch der Gespräche. "Alle bei den Jamaika-Sondierungen wissen um ihre Verantwortung. Wir haben jetzt die Pflicht, diesem Land eine gute Regierung zu stellen."