Berlin
Selbstbewusst und kämpferisch

Christian Lindner als FDP-Chef mit 91 Prozent wiedergewählt sein Ziel ist die Rückkehr in den Bundestag im September

28.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:13 Uhr

Berlin (DK) 91 Prozent für Christian Lindner gestern bei der Wiederwahl zum FDP-Chef. Standing Ovations auf dem Parteitag in Berlin. "Wirklich motivierend" sei das Ergebnis, freut sich der Hoffnungsträger der Liberalen, als er sich auf der Bühne für das Vertrauen der Basis bedankt, die Wahl annimmt und die Partei nun in den Schicksalswahlkampf führen wird. Generalsekretärin Nicola Beer ist die Erste, die Lindner umarmt und Glückwunsch-Küsschen auf die Wangen drückt. Dann folgt Gratulant Partei-Vize Wolfgang Kubicki. Ein dichtes Menschenknäuel bildet sich um Lindner, als er wieder Platz nimmt in der ersten Reihe, Schulterklopfen und Händeschütteln. Keine 100 Prozent wie für Martin Schulz bei der SPD, und anderthalb Punkte weniger als bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren. "Wir sind eine Partei der Individualisten, bei uns gibt es keine sozialistischen Ergebnisse", sagt Lindner.

In seiner Rede schwört er die Liberalen auf den Wahlkampf ein: "Es war ein langer, steiniger Weg. Aber nach 1315 Tagen in der APO haut uns so leicht nichts mehr um!", ruft Lindner. "Das Comeback ist noch lange nicht erreicht, aber wir haben eine Chance darauf", heizt Lindner die Stimmung unter den 622 Delegierten an, nimmt die Rückkehr in den Bundestag im September fest ins Visier.

Scharfe Attacken fährt Lindner gegen Regierung und Opposition im Bundestag. Immer wieder kehrt er die Eigenständigkeit der FDP hervor, verspricht, auf eine Koalitionsaussage werde die Partei unter seiner Führung diesmal vor der Bundestagswahl im September verzichten. "Wir werden die Chance auf das Comeback nicht verspielen, indem wir uns zum nützlichen Idioten für beliebige Mehrheiten machen lassen", gibt sich der Liberale selbstbewusst und kämpferisch, erhält minutenlangen Beifall für seine Rede.

Hier, in dem ehemaligen denkmalgeschützten Postbahnhof, waren die Liberalen bereits nach dem Desaster bei der Bundestagswahl 2013 zum Wundenlecken zusammengekommen. Hier tagte das Scherbengericht nach den Westerwelle- und Rösler-Jahren. Jetzt wird an selber Stelle die Nahtod-Erfahrung endgültig abgeschüttelt und die neue Geschlossenheit zelebriert. Als "stinkende Leiche" sei die FDP geschmäht worden, erinnert Lindner an die schwere Zeit. Jetzt stehe sie wieder stabil bei sechs Prozent, habe allein in diesem Jahr mehr als 3500 neue Mitglieder gewonnen.

Verspottet und vergessen - und nun wieder umworben: Die Union sucht die Nähe zur FDP, Kanzleramtschef Peter Altmaier hat sich gerade mit ihnen in der "Kartoffelküche" getroffen, sind die Liberalen für Kanzlerin Angela Merkel doch von höchstem Interesse, um im September eine Alternative zur Neuauflage von Schwarz-Rot zu haben, womöglich ein schwarz-grün-gelbes Jamaika-Bündnis zu wagen. Auch SPD-Chef Martin Schulz hat der FDP schöne Augen gemacht, und SPD-Vize Olaf Scholz versichert, das "Sozialliberale" sei "tief verwurzelt" in der SPD. Das Buhlen wirkt einerseits euphorisierend auf die Liberalen. Doch Lindner winkt ab: Merkel sei eine Verwalterin der Agenda 2010. "In einer Zeit des dramatischen Wandels ist ihr ,Weiter so' genauso gefährlich wie das ,Zurück' von Martin Schulz." Für "vier verlorene Jahre" macht der FDP-Chef Schwarz-Rot im Bund verantwortlich und bezeichnet SPD-Kandidat Schulz als "schlimmste Gefahr" für den Arbeitsmarkt.

Abgrenzung als Strategie - die Abrechnung kommt an bei der Basis. "Das war notwendig nach dreieinhalb Jahren", sagt ein Delegierter aus NRW, der sich auf die Rückendeckung für die Landtagswahl in zwei Wochen freut. Dort wie in Schleswig-Holstein können die Liberalen mit gut zehn Prozent rechnen - dank Lindner-Effekt. Aber womit will der Hoffnungsträger punkten, welche eigenen Akzente setzen? Im Wahlprogramm, das am Sonntag verabschiedet werden soll, stehen Bildung und Digitalisierung ganz vorn.