Berlin
Riesige Nervosität

Die Grünen stecken im Umfrage-Tief und die nächsten Wahlen rücken näher

26.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

Berlin (DK) Die Angst vor dem Scheitern geht um bei den Grünen im Bund. In Umfragen nur noch bei sechs bis sieben Prozent, so schlecht stand die Ökopartei zuletzt vor 15 Jahren da. "Wir drehen das, ganz einfach", übt sich Parteichef Cem Özdemir zwar in Zweckoptimismus. Doch sei die Nervosität "riesig", es gehe "um alles", heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Fraktion.

Mit besonderem Bangen wird auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in zweieinhalb Wochen geblickt. Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann schlägt die Alarmglocke: Es könne passieren, "dass es auf unter fünf Prozent geht" - und die Grünen aus dem Düsseldorfer Landtag fliegen.

Noch zum Jahreswechsel hieß das Ziel, in NRW und im September im Bund zweistellig abzuschneiden. Jetzt scheint es unerreichbar. Aber wie das Ruder herumreißen? Wie zurück in die Offensive gelangen und verhindern, dass die Grünen als Eine-Generationen-Partei in die Geschichtsbücher eingehen?

Den Leuten klarmachen, dass es nur mit den Grünen geht: Das ist die Mission, mit der das Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir derzeit mit dem Bus durchs Land tourt, an zahllosen Haustüren klingelt, Hände schüttelt und in Hallen und Sälen redet. Die Kernbotschaft: Die Klimafrage ist die Existenzfrage für die nächsten Generationen, und mehr Klimaschutz gibt es nur mit den Grünen. Spitzenmann Özdemir hat den Kohleausstieg gerade zur roten Linie für Koalitionsverhandlungen ausgerufen. Allerdings zieht die Öko-Karte nicht, und das, obwohl die Klimakrise ständig in den Nachrichten ist. Der Frust darüber sitzt tief. Sah es vor der Osterpause noch danach aus, als sei der Traum von Rot-Rot-Grün im Bund dank Martin Schulz noch nicht endgültig ausgeträumt, ging es dann wieder bergab für die Sozialdemokraten, und die Grünen ließen weiter Federn.

Kernthema Klimaschutz, inhaltliche Zuspitzung, emsiger Haustürwahlkampf - das alles hat bislang nicht gezündet. Liegt es wohl doch am Realo-Spitzenduo, dass die Grünen nicht punkten, uncool erscheinen? Ist Cem Özdemir zu verbissen und Katrin Göring-Eckardt zu brav? Noch ist kein Murren zu vernehmen, auch der linke Flügel um Jürgen Trittin beißt sich auf die Zunge. Aber mit der Ruhe könnte es schon nach der Landtagswahl am übernächsten Sonntag in Schleswig-Holstein vorbei sein. Wenn Spitzenkandidat Robert Habeck dort ein gutes Ergebnis einfährt, werden schnell Rufe laut werden, den früheren Schriftsteller und bisherigen Vize-Ministerpräsidenten aus dem Norden prominenter für den Bundestagswahlkampf einzuspannen. Ob Schulz bei der SPD oder Emmanuel Macron in Frankreich: Die Personen zählen. Und Habeck hätte bei den Grünen für frischen Wind und neuen Elan sorgen können, war beim Mitgliederentscheid aber denkbar knapp an Özdemir gescheitert.

Sollte die NRW-Wahl zum Fiasko werden, wird auch der Burgfrieden zwischen Realos und Fundi-Flügel kaum halten. Derzeit setzten die Flügelspitzen den Auftrag um, die Streithähne im Zaum zu halten. "Kurz vor dem Scherbengericht will sich niemand als Schuldiger anbieten", heißt es vielsagend. Aber wenn nach NRW keine neuen Ideen kommen, dann werde es unruhig.