Berlin
Ratlosigkeit bei der SPD

Kanzlerkandidat Schulz sucht seine Strategie Kanzlerin Merkel wartet einfach ab

09.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:58 Uhr

Berlin (DK) Endlich wieder etwas zum Jubeln für Martin Schulz. Das Wahlergebnis für die Freunde von der britischen Labour-Partei sei "gigantisch" und zeige, dass man Umfragen nicht trauen dürfe, dass man mit den Themen Gerechtigkeit, Solidarität und Zusammenhalt der Gesellschaft sehr wohl erfolgreich bei Wahlen sein könne, lobt der SPD-Kanzlerkandidat.

Geht da noch was? Zeigen das Ergebnis von London und die Schlappe der konservativen Amtsinhaberin Theresa May, dass auch den Sozialdemokraten noch eine erfolgreiche Aufholjagd gelingen kann? Wären da nur nicht die jüngsten Umfragen: Nach denen geht der Abwärtstrend der Genossen und ihres Spitzenmannes weiter, Kanzlerin Angela Merkel hat wieder genauso viel Zuspruch von den Wählerinnen und Wählern wie in der Zeit vor der Flüchtlingskrise.

Merkel erneut weit oben, Schulz auf Talfahrt - dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl trennen Union und SPD bei jüngsten Meinungsumfragen wieder bis zu 15 Prozent, liegt die Union bei 39, die SPD nur noch bei 24 Prozent. Ist der "Schulz-Zug" bereits abgehängt, oder gewinnt er doch wieder an Fahrt? Die Kanzlerin kann sich plötzlich wieder über die höchsten Beliebtheitswerte seit August 2015 freuen. Bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers würden sich laut Infratest 53 Prozent für Merkel entscheiden - vier Prozent mehr als im Vormonat. SPD-Kandidat Schulz verliert dagegen 7 Prozent und landet nur noch bei 29 Prozent. 64 Prozent der Befragten sind mit Merkels Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden, nur 36 Prozent stellen Schulz ein gutes Zeugnis aus. Ganz bitter für den SPD-Chef: FDP-Vorsitzender Christian Lindner (44 Prozent) liegt ebenso vor ihm wie Grünen-Chef Cem Özdemir (49 Prozent).

Während Kanzlerin Merkel eisern ihrer Strategie folgt und die Rolle der Krisenmanagerin spielt, die in einer aus den Fugen geratenen Welt wie ein Fels in der Brandung wirkt, von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen eilt, müht sich Schulz in Hörsälen und Stadtbibliotheken, sucht weiter nach einer überzeugenden Wahlkampfstrategie. Pleiten, Pech und Schulz - nach der anfänglichen Euphorie, dem Umfragehoch und zwischenzeitlichen Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union herrscht inzwischen wieder Ernüchterung und Ratlosigkeit bei den Sozialdemokraten. Die drei Niederlagen bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW haben die Genossen noch immer nicht abgeschüttelt.

Die Versuche, sich auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) einzuschießen, zeigen keine Wirkung. Stattdessen gab es Feuer aus der eigenen Partei, als der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seine Genossen als "Heulsusen" verspottet und den Gerechtigkeits-Wahlkampf von Schulz kritisierte. Die Präsentation des Wahlprogramms - ohne Schulz - geriet zum Flopp, die des Rentenkonzeptes zeigte nicht die erhoffte Wirkung.

Dass sich Schulz vor der NRW-Landtagswahl über Wochen im Hintergrund hielt, dass er auf ein Ministeramt und damit auf die große Bühne im Bundestag und an den Krisenherden der Welt verzichtet hatte, sehen inzwischen manche Strategen in der SPD-Spitze als Fehler an. Auch sei noch immer kein roter Faden in der Kampagne zu erkennen. Inzwischen punktet Schulz-Vorgänger Sigmar Gabriel als Vizekanzler und Außenminister, legte in puncto Sympathiewerte kräftig zu und wirkt zufrieden in seiner Rolle, so als habe er den Verzicht auf die Kanzlerkandidatur nicht bereut.