Berlin
Merkel ist fast am Ziel

In einer letzten Marathon-Sitzung einigen sich Union und SPD auf eine Regierung

07.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr

Berlin (DK) "Es hat sich gelohnt", sagt Angela Merkel am Nachmittag. "Es war ein langer Weg, der uns hierher geführt hat", blickt die Kanzlerin zurück. 136 Tage nach der Bundestagswahl und 13 Tage nach dem Start der Koalitionsverhandlungen gibt es schließlich einen Durchbruch. Der Vertrag, um den Union und SPD so heftig gerungen haben, steht. Die CDU-Chefin wirkt erschöpft, aber auch erleichtert, die Spuren der langen Verhandlungsnächte sind weggeschminkt. Doch der letzte entscheidende 24-Stunden-Verhandlungsmarathon wirkt nach.

Merkel ist fast am Ziel, wäre da nur nicht die SPD-Basis, die am Ende per Mitgliedervotum über die große Koalition entscheidet. Die 177 Seiten des schwarz-roten Vertragswerks seien "die Grundlage einer guten und stabilen Regierung", die das Land jetzt brauche und die viele in der Welt erwarteten, lobt Merkel die Ergebnisse.

Auftritt der Kanzlerin gemeinsam mit den Parteichefs von SPD und CSU nach einer zähen, aber am Ende erfolgreichen Schlacht. Horst Seehofer und Martin Schulz sind die eigentlichen Gewinner des Tages und des schwarz-roten Ringens um eine neue Regierung. Schulz soll neuer Außenminister in einem Kabinett Merkel werden, so die Planung, Seehofer eine Art Superministerium für Inneres, Bau und Heimat übernehmen. Nur zwei von vielen überraschenden Personalien an diesem spannenden Tag in Berlin.

"Passt scho", zeigt sich auch CSU-Chef Seehofer "hochzufrieden" mit den Ergebnissen. Der Koalitionsvertrag sei "eine Abkehr vom Weiter so", und das Signal "Wir haben verstanden" könne dazu beitragen, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Erleichterung auch bei SPD-Chef Schulz: Man habe einen "sehr guten Koalitionsvertrag" ausgehandelt, der hoffentlich auch die Zustimmung der Mitglieder finden werde. Die "Kollegin" und der "Kollege" mögen es ihm verzeihen, sagt Schulz, aber der Koalitionsvertrag trage "in einem großen Maße sozialdemokratische Handschrift", sei stark von seiner Partei beeinflusst. Schulz startet seine Pro-Groko-Kampagne und wirbt um das Ja der Mitglieder für das schwarz-rote Bündnis und die gemeinsamen Beschlüsse. "Wir werden die Mitglieder davon überzeugen, dass wir einen sehr guten Koalitionsvertrag ausgearbeitet haben", gibt er sich optimistisch.

In einer dramatischen Nachtsitzung hatten die Unterhändler von Union und SPD um die letzten Streitpunkte gerungen. Am Ende war es noch einmal äußerst zäh. Einmal mehr ließ die Einigung auf sich warten. Gestern früh gegen 10.30 Uhr wird klar: Der Koalitionsvertrag steht, Union und SPD haben sich geeinigt, wollen auch weiter gemeinsam regieren. Am Morgen gelang der Durchbruch. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen soll eingeschränkt werden. Eine Gesundheitskommission werde sich mit der Verbesserung von Leistungen für gesetzlich Versicherte beschäftigen. Und schließlich das üppige Personalangebot für die Sozialdemokraten.

"Jetzt wollen wir alle mal duschen", sagt ein erschöpfter Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der das Amt des Wirtschaftsministers übernehmen soll. "Ich geh schlafen", verrät Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. Der SPD-Politiker wird voraussichtlich neuer Finanzminister in einer schwarz-roten Regierung.

Nur eine der vielen Überraschungen an diesem turbulenten Tag in Berlin. Im Halbstundentakt jagt eine Nachricht die nächste, machen Namen die Runde, nimmt die neue Regierung Gestalt an. Die Kanzlerin ist fast am Ziel. Jetzt heißt es warten auf das Ergebnis des SPD-Mitgliedentscheides und hoffen, dass die Genossen zustimmen.

Warum es in der CDU keinen Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag gebe, wird Merkel gefragt. "Wir haben einen Parteitag und der Parteitag wird abstimmen", bürstet sie ab. Doch in der CDU brodelt es, ist der Unmut über so viel SPD im Koalitionsvertrag und den Verlust des Finanz- und Innenministeriums groß. "Viele ballen die Faust in der Tasche", heißt es in der Unionsfraktion. Es sei bitter, dass die Union diese Schlüsselministerien abgebe, sagte CSU-Politiker Hans Michelbach.

Die CDU habe wichtige Ressorts bekommen, auch wenn es vielen schwer falle, "dass wir nicht mehr das Finanz- und das Innenministerium haben", hält Merkel dagegen. Doch die Wut wächst in ihrer Partei. Manch einer übte sich in Galgenhumor. So twitterte der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Guttin gestern: "Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt!" Der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates dagegen machte seinem Ärger deutlich Luft: "Diesem Vertrag kann normalerweise auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht zustimmen."