Berlin
Masern-Schock in Berlin

Kleinkind stirbt an Infektionskrankheit – Gröhe: Impfpflicht kein Tabu

23.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:37 Uhr

Berlin (DK) Ein Kleinkind aus dem Berliner Bezirk Reinickendorf ist bereits in der vergangenen Woche an Masern gestorben. Seit vergangenem Herbst grassiert die Infektionskrankheit in der Hauptstadt. 568 Fälle sind bisher gezählt worden. Die Behörden sprechen von einer „Epidemie“ und mahnen zur Vorsorge. Es ist der größte Ausbruch seit dem Jahr 2001.

Der eineinhalb Jahre alte Junge sei am 18. Februar in einem Krankenhaus gestorben, sagte Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) gestern. Wie sich der Junge angesteckt hat, war zunächst nicht bekannt. „Das Kind war geimpft, aber nicht gegen Masern“, sagte Czaja. Es hatte keine chronischen Vorerkrankungen.

Der Tod des kleinen Jungen mache deutlich, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handele, sagte der Senator. Masern schwächen das Immunsystem und können bei Komplikationen zu schweren Infektionen wie Lungen- und Gehirnentzündungen führen.

Zu Wochenbeginn blieb eine Schule in der Hauptstadt vorsorglich geschlossen. Grund sei ein schwerwiegender Verlauf der Infektionskrankheit bei einem Jugendlichen, sagte eine Senatssprecherin.

Aus Sicht von Medizinern führt kein Weg mehr an einer Impfpflicht vorbei. „Spätestens der tragische Todesfall in Berlin sollte Anlass sein, jetzt zu einer Impfpflicht gegen Masern zu kommen“, erklärte Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Die eigenen Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen, ist verantwortungslos. Auf die Impfung zu verzichten, ist auch verantwortungslos gegenüber der gesamten Gesellschaft.“ Erst bei einer Durchimpfungsrate von 95 Prozent sei „das Risiko epidemischer Ausbrüche gleich Null“.

Experten gehen davon aus, dass nur 80 Prozent der Deutschen gegen Masern geimpft sind. Auch wenn sich in der großen Koalition die Stimmen für eine Impfpflicht mehren: Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe will zunächst noch auf Appelle an die Vernunft setzen. „Der Masernausbruch in Berlin zeigt, wie wichtig ein guter Impfschutz ist. Ich rate dringend dazu, den eigenen Impfstatus überprüfen zu lassen und die empfohlenen Impfungen nachzuholen“, so der CDU-Politiker gestern. „Die irrationale Angstmacherei mancher Impfgegner ist verantwortungslos.“ Gröhe verweist allerdings auf das Präventionsgesetz, das derzeit von der großen Koalition vorbereitet wird und für mehr Verbindlichkeit bei Impfungen sorgen soll: Bei der Aufnahme in den Kindergarten soll künftig ein Nachweis über eine ärztliche Impfberatung vorgelegt werden müssen. Außerdem muss bei Gesundheitsuntersuchungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen künftig der Impfstatus überprüft werden und eine Impfberatung erfolgen. „Wenn all diese Maßnahmen nicht helfen, kann eine Impfpflicht kein Tabu sein“, so Gröhe weiter.

Das Thema Masern-Impfpflicht wird bei den Experten der Bundestagsfraktionen kontrovers diskutiert. „Die Impfbereitschaft muss durch eine konzertierte Aktion der Gesundheitspolitiker aller Parteien und der Ärzte und ihrer Fachverbände erhöht werden. Wenn das nicht gelingt, muss die Impfpflicht kommen“, so SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. „Die Zahl der Ärzte, die eine Außenseitermeinung vertreten, sich vielleicht auch vor den Eltern wichtigmachen wollen und nicht mehr impfen, hat zugenommen.“ Es habe auch die Zahl der Eltern zugenommen, „die glauben, sich selbst ein Bild machen zu können und bessere Kinderärzte als der Arzt zu sein“.

Grüne und Linkspartei stehen einer Impfpflicht weiter skeptisch gegenüber, wollen lieber nicht ins Selbstbestimmungsrecht der Eltern eingreifen.

Dagegen sieht das Robert-Koch-Institut (RKI) sehr wohl Handlungsbedarf. „Die jetzigen Regelungen sind nicht ausreichend. Nur auf die Einsicht der Eltern zu setzen, genügt nicht“, so RKI-Präsident Reinhard Burger gestern im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Ich finde es unverantwortlich von den Eltern, ihre Kinder nicht zu impfen.“ In einem von 1000 Fällen verlaufe die Krankheit schwer. „Das ist verdammt viel“, so der Experte. „Die Eltern gefährden nicht nur ihre eigenen Kinder, sondern auch andere.“ Ärztepräsident Montgomery mahnt: „Das Risiko der Impfung bei Masern ist deutlich geringer als das Risiko der durchgemachten Infektion.“