Berlin
Kirchentag in Berlin jubelt Obama zu

Im Wahljahr ist das Christentreffen vielleicht noch politischer als sonst

26.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:03 Uhr

Berlin (DK) Jubel auf dem "Platz des 18. März" vor dem Brandenburger Tor: Barack Obama ist der Superstar des Evangelischen Kirchentages im Jahr des Reformationsjubiläums. Der Ex-US-Präsident als Projektionsfigur, gefeiert wie ein Heilsbringer. Obama spricht vom Brückenbauen, von Gräben, die überwunden werden müssten, von kleinen Schritten und vom "gütigen Gott". Mag er auch die umstrittenen US-Drohnenangriffe und das amerikanische Militärbudget verteidigen: Das Kirchentagspublikum hängt dem 55-jährigen Friedensnobelpreisträger an den Lippen. Es sei "eine große Ehre", hier in Berlin an der Seite seiner "Freundin" Angela Merkel auftreten zu dürfen, schmeichelt er der Bundeskanzlerin gleich zu Beginn.

Der smarte Trump-Vorgänger als Massen-Magnet, die Kanzlerin an seiner Seite vor rund 70 000 begeisterten Christen im Herzen Berlins - für die einen ist das ein gelungener Coup der Kirche, für andere eine fragwürdige Inszenierung mit schönen Bildern. Bei den Sozialdemokraten ist man verstimmt. Die Kanzlerin steht im Fokus, SPD-Herausforderer Martin Schulz findet sich im Programm des Christentreffens unter ferner liefen.

Was natürlich die Frage aufwirft: Wie politisch darf, wie politisch muss ein Kirchentag sein? Auch diesmal gibt es wieder ein regelrechtes Schaulaufen von Spitzenpolitikern. Politik ja, aber bitte keine Parteipolitik, mit dieser Parole war der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in den Kirchentag gestartet. Die Kirche habe die Welt fest im Blick.

Einmischen oder raushalten? Ein schwieriger Balanceakt. Manchen kommt der Kirchentag zu staatstragend daher, andere vermissen den rebellischen Gestus früherer Jahre. Politiker wie CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn werfen den Kirchen dagegen Grenzüberschreitungen vor. An vielen Stellen würden sie nicht mehr das machen, wofür sie da sein, erinnert er an Seelsorge, Glaubensvermittlung und das Karitative. "Stattdessen mischen sie sich zur sehr in Tagespolitik ein und machen sich so nur zu einem von vielen Interessenvertretern", moniert Spahn.

Tatsächlich pendelt der Kirchentag zwischen Tagespolitik, Wahlkampf und Grundsätzlichem. Da wird Kanzlerin Merkel vom EKD-Ratsvorsitzenden gefragt, ob es nicht möglich sei, die Gesetze so zu ändern, dass Flüchtlinge, die schon länger hier seien, bleiben könnten. Freundlich, aber bestimmt erteilt sie dem Ansinnen eine Absage, bekommt Pfiffe dafür. Oder SPD-Kanzlerkandidat Schulz. Er philosophiert in Berlin über das Kirchentagsmotto ("Ich sehe Dich!"), was ihn direkt zu seinem Wahlkampf-Leitmotiv Gerechtigkeit führt.

Obama wird am Himmelfahrtstag auf den Zahn gefühlt - etwa von Benedikt Wichtlhuber aus Mannheim. Der junge Mann erkundigt sich nach zivilen Opfern von US-Drohnenaufgriffen auf Terroristen. "Manchmal haben meine Entscheidungen zum Tod von Zivilisten geführt, weil es zu Fehlern gekommen ist", räumt der ehemals mächtigste Mann der Welt ein. "Aber es gab keine anderen Wege, um an Terroristen zu kommen."

Ist dieser Kirchentag politischer als sonst? Die Reformationsbotschafterin Margot Käßmann winkt ab. Den Eindruck gebe es zwar. Aber er beziehe sich allein auf zwei von mehr als 2000 Veranstaltungen, auf den Auftritt von Obama und Merkel und den Dialogversuch mit der AfD. Das Gespräch mit den Rechtspopulisten hatte bereits im Vorfeld für Kontroversen gesorgt.

Ein Experiment mit zwiespältigem Ausgang. Im vergangenen Jahr beim Katholikentag in Leipzig waren Vertreter der Alternative für Deutschland nicht erwünscht gewesen. Nun bekommt zumindest Anette Schultner, Vorsitzende der "Christen in der AfD", ein Podium. In der Berliner Sophienkirche diskutiert sie mit Markus Dröge, dem Berliner Bischof. "Es steht kein christliches Menschenbild im Parteiprogramm", sagt der Geistliche. Der Schutz der "abendländisch-christlichen" Kultur stehe im Parteiprogramm, entgegnet AfD-Frau Schultner. Auf dem Kirchentag komme sie sich vor wie auf einem Grünen-Parteitag.

Hier der Gottesmann, dort die Christin aus der AfD. Sie sprechen miteinander, nähern sich aber kein Stück an. Ganz anders dagegen die Atmosphäre bei den Kirchentagsempfängen der großen Parteien. Die Säle sind voll. Ob Merkel oder Schulz: Ihnen ist am Schulterschluss mit der Kirche gelegen, zumal jetzt im Wahlkampf.