Berlin
Hartes Urteil zum Jahresende

Schulz ist "Verlierer des Jahres" und steht in der SPD gehörig unter Druck

28.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

Berlin (DK) Im vergangenen Januar - kaum hatte ihm Sigmar Gabriel die Kanzlerkandidatur vermacht - war Martin Schulz (Foto) durchgestartet. Videos des famosen "Schulz-Zuges" wurden zum Youtube-Hit, Fotomontagen zeigten ihn als Messias. Der Höhenflug schien nicht zu stoppen. Elf Monate später ist Martin Schulz vom Erlöser der SPD zum "Verlierer des Jahres" abgestürzt. Das brutale Ergebnis der gestern veröffentlichten Umfrage: 67 Prozent der Deutschen sehen ihn als den am deutlichsten gescheiterten Politiker. Selbst unter den Sozialdemokraten ist fast die Hälfte dieser Ansicht. Da mag es wenig trösten, dass CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel - mit teils deutlichem Abstand - auf den Plätzen zwei und drei folgen.

Die krachend verlorene Bundestagswahl, das taktische Desaster mit der kassierten Absage an die große Koalition, Querschüsse aus den eigenen Reihen, der Vorwurf der Führungsschwäche: Für Martin Schulz geht ein Seuchenjahr zu Ende. Und ob 2018 für den 62-Jährigen besser läuft, steht in den Sternen.

Was wird nun aus Martin Schulz? Seit einer Woche ist der SPD-Chef abgetaucht, brütet daheim in Würselen über seiner Agenda für die schwarz-roten Sondierungen. Keine Zeit zum Durchschnaufen, stattdessen Schwerstarbeit an den sozialdemokratischen Kernanliegen, die er gegen CDU und CSU durchboxen muss, um eine Chance zu haben, die vielen "GroKo"-Gegner unter den Genossen noch zu besänftigen.

Nicht dabei im Sondierungsteam ist Bundesaußenminister Gabriel. Er hatte 2013 den aktuellen Koalitionsvertrag ausgehandelt, sein "Meisterstück". Jetzt ist Gabriel befreit von der Last, die Schulz schwer auf den Schultern liegt, und nutzt seine Freiheit, um ein Ideenfeuerwerk abzubrennen - und Schulz damit mächtig vor sich herzutreiben. Gastbeiträge, Interviews, TV-Auftritte und ein Truppenbesuch in Afghanistan zu Weihnachten: Gabriel glänzt auf allen Kanälen, setzt inhaltliche Akzente, stellt der Kanzlerin forsch Bedingungen für die Koalition - als wäre er noch der Parteichef. Ein Jamaika-Erfolg hätte Gabriel ins Abseits katapultiert. Doch die Aussicht, seinen Ministerposten in einer neuen Koalition zu behalten, oder womöglich das Finanzressort zu übernehmen, hat ihn aufblühen lassen. Er strotzt vor Kraft und Lust zu regieren. Seine Botschaft an Martin Schulz: Ich kann es besser! Dass Gabriel selbst nach der Wahlschlappe von 2013 die ernste Aufarbeitung versäumte, der Partei zu keinem neuen Selbstvertrauen verhelfen konnte, gerät in Vergessenheit.

Für die Genossen kommt die Rivalität der einstigen Freunde jedoch zur Unzeit, sorgt für enorme Unruhe. NRW-Landeschef Michael Groschek und Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel sahen sich genötigt, Gabriel zu rüffeln und Schulz den Rücken zu stärken. Doch hinter vorgehaltener Hand hegen auch Spitzengenossen Zweifel an Schulz' Führungsqualitäten. Von Fraktionschefin Andrea Nahles bis zu Hamburgs Regierendem Bürgermeister Olaf Scholz machen sich Kontrahenten bereit.

Der Ausgang der Sondierungen - vor allem das Votum der Parteibasis über einen Koalitionsvertrag - bestimmt nun das politische Schicksal von Martin Schulz. Ringt er der Union ein Angebot für die große Koalition ab, dass die SPD nicht ausschlagen kann? Hat er Erfolg, liegt es in seinen Händen, ob Gabriel weiter als Minister glänzen kann. Scheitert Schulz jedoch, dürften seine Tage als Parteichef der Sozialdemokraten gezählt sein. ‹ŒFoto: Charisius/dpa