Berlin
"Gut, dass es endlich losgeht"

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Berlin (DK) Grünen-Chef Cem Özdemir spricht im Interview über die Sondierungsgespräche mit Union und FDP.

Herr Özdemir, am heutigen Mittwoch beginnen die Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen für eine mögliche Jamaika-Koalition. Wie stehen die Aussichten für solch ein Regierungsbündnis?

Cem Özdemir: Gut, dass es endlich losgeht. Wir haben viel Zeit verloren und lange auf die Union warten müssen. Wir wollen verantwortungsvoll ernsthafte Gespräche führen. Rote Linien bringen uns nicht weiter. Alle Parteien sollten jetzt von den Bäumen wieder runterkommen, damit wir vernünftig auf Augenhöhe verhandeln können. Ich halte gerne die Leitern. Noch wissen wir gar nicht, ob es mit einer Jamaika-Koalition klappen kann. Wenn die FDP jetzt schon Ansprüche für Ministerämter anmeldet und Posten verteilen will, ist das sehr voreilig. Erst kommen Sondierungen, dann Koalitionsverhandlungen, und über die Ressorts und das Personal wird ganz am Ende entschieden. Wir legen nichts vorher fest. Die Inhalte stehen im Vordergrund.

 

Unionspolitiker drängen darauf, noch in diesem Jahr die Koalitionsverhandlungen abzuschließen. Sollte Weihnachten die Jamaika-Regierung stehen?

Özdemir: Wenn jetzt ausgerechnet die Union auf mehr Tempo drückt, ist das ein Witz. Wir hätten längst begonnen haben können. Wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen. Für die Sondierungen und Verhandlungen gilt: so zügig wie möglich, aber auch so gründlich wie nötig.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel will das Thema soziale Sicherheit ganz oben auf die Tagesordnung bei den Sondierungen setzen. Rennt sie damit bei den Grünen nicht offene Türen ein?

Özdemir: Gut, dass jetzt auch die Union wieder das Thema soziale Sicherheit entdeckt. Wir müssen mehr für die sozial Schwachen tun, für diejenigen, die sich abgehängt fühlen. Das wäre eine angemessene Antwort auf das Erstarken des Rechtspopulismus. Wir müssen diejenigen, die sich als Verlierer in der Gesellschaft fühlen, wieder aktivieren für die Gesellschaft. Das geht aber nicht, wenn wir einfach nur die Steuern senken, wie das Union und FDP wollen. Wir müssen in die Infrastruktur investieren, die Digitalisierung und Modernisierung unserer Schulen müssen wir konsequent angehen. Das müssen Kathedralen der Zukunft und der Hoffnung werden. Das geht nicht, wenn wir Milliarden für Steuergeschenke ausgeben, von denen vor allem Besserverdienende profitieren, zum Beispiel durch die Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Wir müssen vor allem Familien und Alleinerziehende gezielt entlasten. Wir brauchen eine große Kraftanstrengung für mehr sozialen Zusammenhalt.

 

In der Verkehrspolitik liegen Welten zwischen der Union und den Grünen . . .

Özdemir: Dass Herr Dobrindt nicht mehr Verkehrsminister ist, wird uns helfen, Fahrverbote zu verhindern. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich den Schalter umlegen, Diesel-Fahrzeuge technisch umrüsten und mehr emissionsfreie Autos auf die Straße bringen. Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen. Wir brauchen eine konsequente Förderung des Öffentlichen Nahverkehrs. Unsere Automobilindustrie hat sich inzwischen auf den Weg gemacht, in die emissionsfreie Zukunft einzusteigen. Das müssen wir beschleunigen, um künftig auf den Märkten erfolgreich zu bleiben. Wir gehen mit unserer Forderung in die Gespräche, ab 2030 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge neu zuzulassen. Mit der Kanzlerin sind wir da ja im Ziel einig.

 

Die Union hat sich auf eine gemeinsame Regelung beim Thema Zuwanderung mit einer Obergrenze verständigt. Halten Sie eine Verständigung auf dieser Grundlage für möglich?

Özdemir: Es geht um Humanität und Ordnung. Einschränkungen im Asylrecht wird es mit uns ebenso wenig geben wie eine feste Obergrenze. Obergrenzen lösen die Probleme nicht. Die Menschen haben das Gefühl, dass die Politik die Flüchtlingskrise schlecht gemanagt hat. Wir brauchen bei der Flüchtlingspolitik einen Kompromiss. Das wird aber sicher nicht der Beschluss von CDU und CSU sein. Immerhin nähert sich die Union langsam an unser Einwanderungsgesetz an. Die FDP hat unsere Forderung bereits übernommen. Wir sollten den Wust an Regelungen in einem gemeinsamen Gesetz zusammenfassen.

 

Die Fragen stellte

Andreas Herholz.