Berlin
Gegen das Vergessen

Merkel besucht das ehemalige Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen und erinnert an die DDR-Gräuel

11.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:39 Uhr

Mit angestrengtem Blick und sichtlich ergriffen schaute sich Kanzlerin Angela Merkel am Freitag in der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen um. Das ehemalige Gefängnis mit seinen grauen und monumentalen Mauern beeindruckt jedes Jahr unzählige Besucher. - Foto: Schmidt/AFP

Berlin (DK) Meterhoch sind die alten Mauern, oben gesichert mit scharfem Stacheldraht. Die schwere Holztür wird entriegelt. Angela Merkel betritt langsam den sogenannten Freiganghof im früheren Berliner Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Sie schaut sich um, hält einen Moment inne. Die Kanzlerin zu Besuch an einem Ort, der wie kaum ein anderer für den Schrecken der DDR-Diktatur steht. Der Termin am Freitag ist ihr erster nach dem Urlaub. Merkel will ein Zeichen gegen das Vergessen setzen. Draußen vor den grauen Gefängnismauern warten frühere Häftlinge, fordern höhere Renten und werfen der Kanzlerin Inszenierung vor: Ihr gehe es doch nur darum, mit dem Abstecher im Wahlkampf einen Punkt zu setzen.

Der Termin ist zumindest nicht zufällig gewählt: An diesem Sonntag jährt sich der Bau der Berliner Mauer. "Wir können nur eine gute Zukunft gestalten, wenn wir uns der Vergangenheit annehmen", bringt die selbst ernannte "gelernte DDR-Bürgerin" Merkel ihre Botschaft auf den Punkt. Der Bund werde sich weiter engagieren, um die Erinnerung an solche authentischen Orte offen zu halten. Es sei wichtig, sich kraftvoll für Demokratie und Freiheit einzusetzen und auch gegen Linksradikalismus vorzugehen. Das DDR-Unrecht dürfe nicht vergessen werden.

Beim Rundgang durch die Ausstellung erfährt die Kanzlerin, dass jedes Jahr fast eine halbe Million Besucher kommen, was die Gedenkstätte langsam an Kapazitätsgrenzen bringt. 50 000 Interessenten mussten im vergangenen Jahr abgewiesen werden. Neun Millionen Euro will der Bund nun investieren - in die Sanierung des Areals und den Bau von neuen Seminarräumen.

Die Fassaden von Baracken und Hauptgebäude - alles noch wie damals, in DDR-Grau. Bis zur Wende war das Areal Sperrbezirk und ein weißer Fleck auf allen offiziellen Landkarten. Auf den Fluren mit den dreifach verriegelten Zellen riecht es nach altem Linoleum. Hier saßen Zehntausende ein, darunter auch prominente Oppositionelle wie Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs, Ulrike Poppe und Freya Klier. Hohenschönhausen war ein Ort des Schreckens, an dem mit Druck und Drohungen Geständnisse erpresst wurden. Der frühere Gefängnis-Chef wohnt noch immer hier im Bezirk, gegenüber der Gedenkstätte. Mehr als einmal hat er zu verstehen gegeben, die Häftlinge von damals nicht als Opfer, sondern unverändert als Täter zu sehen.

Im "Camp X" mussten die Häftlinge Zwangsarbeit leisten. So wie Arno Drefke, der Anfang der 50er-Jahre einen anti-kommunistischen Jugendverband gründete, an die Stasi verraten und wegen Spionage zu lebenslanger Haft in Hohenschönhausen verurteilt wurde. Dort zwang man ihn, technische Zeichnungen für Befestigungsanlagen für U-Bahnhöfe anzufertigen. So wirkte er ungewollt am Bau der Mauer mit. Erfahren hat er davon erst später.

Drefke, der sonst Besucher durch die Zellen führt und ihnen Vernehmungszimmer zeigt, steht gestern neben Merkel, als sie am Gedenkstein im Gefängnis-Innenhof einen Kranz niederlegt. Ein besonders bewegender Moment, wie er später sagt. Noch gibt es Zeitzeugen wie Drefke, die helfen, die Erinnerung wachzuhalten. Besucherin Merkel bekommt alles gezeigt, etwa ein Buch, in dem die Stasi Suizide von Häftlingen dokumentierte. Oder den roten Rock von Freya Klier. Und die Verkollerungsmaschine, ein Gerät, mit dem Funktionäre brisante Akten zu einem breiig-klebrigem Etwas pressten.

Ob auch über die Kanzlerin etwas in den Unterlagen zu finden ist? Bei ihrem ersten Besuch 2009 war Merkel nach ihren Erfahrungen mit der Stasi gefragt worden. "Sehr unangenehm" seien die gewesen, antwortete sie damals. Merkel wirkt nachdenklich. Für die Stasi-Opfer, die mit ihren Transparenten protestieren, nimmt sie sich einen Moment Zeit, hört zu. Am Ende bittet sie die Leute, noch einmal schriftlich mit ihr Kontakt aufzunehmen.