Berlin
"Familiennachzug aussetzen"

19.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Berlin (DK) Bundesentwicklungsminister Gerd Müller spricht im Interview über Flüchtlingspolitik und Jamaika.

Herr Minister, wie stehen die Chancen für ein Jamaika-Bündnis in Berlin?

Gerd Müller: Wir gehen das konstruktiv und zielstrebig an. Zu Beginn steht die Vertrauensbildung der vier Parteien und Verhandlungsführer im Vordergrund. Die Regierung wird ja für vier Jahre gebildet. Da stellen sich viele Herausforderungen, die man jetzt noch gar nicht absehen und nicht in einem Koalitionsvertrag festhalten kann. Erst wenn in den Sondierungen klar ist, dass die Gemeinsamkeiten groß genug sind, und es eine gemeinsame Basis gibt, werden wir Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit allerdings hoch, dass es zu einer Regierungsbildung kommt. Ziel ist es, dass bis Weihnachten eine Regierungskoalition steht. Wir haben nach dem schwierigen Wahlergebnis die Chance, neu zu denken und Verkrustungen aufzulösen.

 

Wie soll ein Bündnis zwischen CSU und Grünen funktionieren?

Müller: Jetzt müssen Partner zusammenfinden, die bisher politische Konkurrenten waren. Für die CSU ist klar: Die Zuwanderung muss begrenzt werden. Gleichzeitig muss aber eine humanitäre Antwort auf das Leiden unter dem Kriegs- und Flüchtlingselend in den Hauptherkunftsländern im Nahen Osten oder in Ostafrika gegeben werden. Das müssen wir miteinander verbinden. Da sehe ich Gemeinsamkeiten und Brücken zu den Grünen und zur FDP. Wir sollten vor Ort in den Krisengebieten unsere Hilfen erheblich ausweiten, um den Druck auf Deutschland und Europa zu vermindern. Jeder eingesetzte Euro hat dort hundertmal so große Wirkung wie bei uns. Ich sehe es beispielsweise als großen Erfolg, dass es uns die letzten sechs Monaten gelungen ist, 270 000 Menschen nach Mossul zurückzuführen und die Strom- und Trinkwasserversorgung für 500 000 Menschen in Ost-Mossul wieder aufzubauen. Für diese riesigen Aufgaben müssen wir deutlich mehr Geld in die Hand nehmen. Wir geben in Deutschland zurzeit rund 25 Milliarden Euro für Integration aus. Damit könnten wir Not, Elend und Flüchtlingsdruck vor Ort lindern. Entwicklungspolitik verhindert Flucht und schafft langfristig Zukunftsperspektiven für die Menschen vor Ort.

 

Die Grünen lehnen eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzbedürftige ab. Die Union ist dafür. Auch hier ist keine Verständigung in Sicht, oder?

Müller: Wir müssen den Familiennachzug weiter aussetzen. Hier gibt es unterschiedliche Zahlen. Wenn im Zuge des Familiennachzuges noch einmal 200 000 bis 300 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen, würde uns das überfordern. Wir müssen an das Thema realistisch herangehen. Das gilt auch für die Grünen.

 

Der Ruf nach konsequenten Abschiebungen von straffällig gewordenen Asylbewerbern wird lauter. Was muss geschehen?

Müller: Die Menschen im Lande erwarten, dass Recht und Ordnung durchgesetzt werden. Wer das Recht auf Asyl in Anspruch nimmt, muss auch mit der Konsequenz leben, im Falle einer Ablehnung zurückkehren zu müssen. Dafür bieten wir Rückkehrerprogramme an. Die Menschen verstehen nicht, dass sie bei Falschparken ein Bußgeld erhalten, aber straffällig gewordene und abgelehnte Asylbewerber nicht abgeschoben werden.

 

Auch beim Thema Klimaschutz gehen die Meinungen zwischen den Jamaika-Verhandlungspartnern auseinander . . .

Müller: Klimaschutz ist eine der Überlebensfragen der Menschheit. Wir werden das Thema aber nicht allein national lösen. Deutschland trägt etwa zwei Prozent zum Ausstoß von Treibhausgas bei. Wir entwickeln internationale Lösungsansätze. Ganz konkret habe ich eine Solarpartnerschaft mit Indien auf den Weg gebracht. Afrika muss seinen Energiebedarf auf der Basis erneuerbarer Energien und nicht mit Kohle decken. Natürlich müssen wir das Thema auch in Deutschland ernst nehmen und tun, was möglich ist. Wenn Indien und China weiter auf Kohle setzen, gehen auch bei uns die Lichter aus.

 

Wo sehen Sie Ihre politische Zukunft? Greift die CSU wieder nach dem Entwicklungsministerium?

Müller: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steht vor großen Herausforderungen. Ich würde meine Aufgabe, die ich begonnen habe, gerne weiterführen.

 

Das Gespräch führte

Andreas Herholz.