Frau
"Ein starkes Zeichen"

Margot Käßmann zieht nach dem Evangelischen Kirchentag Bilanz

28.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:03 Uhr

Foto: DK

Berlin (DK) Margot Käßmann zieht nach dem Evangelischen Kirchentag Bilanz. Im Interview spricht sie darüber, ob es dieses Jahr politischer war als sonst, den Auftritt von Barack Obama und die Terrorgefahr.

Frau Käßmann, was wird von diesem Kirchentag bleiben?

Margot Käßmann: Viel Orientierung, denke ich. Es hat sehr intensive und konzentrierte Bibelarbeiten gegeben, aber auch politische Auseinandersetzungen über Krieg und Frieden, den Umgang mit Flüchtlingen und die großen Gerechtigkeitsfragen in unserem Land. Der Abschlussgottesdienst in Wittenberg war noch einmal ein starkes Zeichen der Gemeinschaft.

 

Auf dem Kirchentag haben Mitglieder der Bundesregierung - allen voran die Kanzlerin - für eine restriktive Flüchtlingspolitik geworben. Hat Sie das enttäuscht?

Käßmann: Christinnen und Christen haben die Kanzlerin im Herbst 2015 sehr stark unterstützt. Jetzt sehen sie, dass es auch Abschiebungen gibt, die sie nicht verstehen. Natürlich ist auch uns klar, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann. Aber wenn jemand den Kriegsdienst in der Armee von Assad verweigert hat, sollte das schon ein Asylgrund sein. Außerdem bleibt unsere Auffassung, dass es keine Abschiebungen in ein Kriegsland wie Afghanistan geben darf. Und wir sollten niemanden abschieben, der zum Christentum konvertiert ist.

 

War dieser Kirchentag politischer als andere?

Käßmann: Ich habe viele andere Kirchentage erlebt. Die waren auch politisch. Der Eindruck, den Sie ansprechen, beruht auf zwei von mehr als 2500 Veranstaltungen: die Debatte mit der AfD und die Begegnung von Barack Obama und Angela Merkel. Diese beiden Termine haben die Außenwahrnehmung dominiert.

 

Was halten Sie von dem Einwand, dass der Kirchentag und Barack Obama der Kanzlerin vor allem schöne Bilder für den Wahlkampf gebracht haben?

Käßmann: Ich kann die Kritik nachvollziehen. Aber es gab auch Jahre, da ist Angela Merkel auf dem Kirchentag ausgebuht worden. Diesmal sind Politiker aller Parteien dabei gewesen und hatten die Gelegenheit, sich zu äußern. Bei der Veranstaltung mit Obama und Merkel waren es vor allem die jungen Leute, die kritisch nachgefragt haben - in guter reformatorischer Tradition. Wir sind keine Claqueure irgendwelcher Parteien.

 

War der Versuch eines Dialogs mit der AfD beim Kirchentag nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt?

Käßmann: Es ist immer besser, miteinander zu reden als übereinander. Wer sich in der AfD als Christ bezeichnet, den dürfen wir nicht von vorneherein ausschließen. Das Gespräch ist wichtig. Dass man dabei keinen Konsens findet, ist normal. Mir käme es darauf an zu erfahren, wie jemand in einer Partei, die sich derart abfällig über Flüchtlinge und Zuwanderer äußert, Barmherzigkeit und Nächstenliebe pflegen will. Das passt für mich nicht zusammen.

 

Der Kirchentag stand - kurz nach dem Anschlag von Manchester - auch im Zeichen der weltweiten Terrorgefahr. Wie sollte man damit umgehen?

Käßmann: Es ist wichtig, dass wir nicht angstbesessen werden. Die Großveranstaltungen waren voll. Das ist ein gutes Zeichen. Wir sollten angesichts immer neuer Nachrichten von Anschlägen aufpassen, dass wir nicht abstumpfen und stattdessen weiter Empathie zeigen gegenüber den Opfern und ihren Familien.

 

Die Kirche feiert 500 Jahre Reformationsjubiläum. Gibt es inzwischen in der Öffentlichkeit eher Übersättigung oder neues Interesse an einer tieferen Beschäftigung mit Martin Luther?

Käßmann: Das Interesse ist groß. Das gilt auch für die Teile Mitteldeutschlands, in denen Luther gelebt und gearbeitet hat, die aber heute nicht mehr vom Christentum geprägt sind. Wir gedenken gemeinsam, ökumenisch statt nur selbstbezogen, international statt nur durch die deutsche Brille. Wir haben Luther vom Heldensockel geholt, sprechen auch über seinen Antijudaismus. Aber wir zeigen auch, dass die Reformation Weltbürgerin ist, indem wir das Jubiläum international ausrichten. Ich hoffe, dass wir aus diesem Jahr ein echtes Jahr des Aufbruchs machen können, für unsere Kirche, aber auch für die Ökumene.

 

Margot Käßmann ist Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum. Die Fragen stellte Rasmus Buchsteiner. Foto: Woitas/dpa